EBIBLOG SALUTEM DICIT
  • Alltag / Everyday life
    • Bücher und Gedichte
    • Ausstellungen
    • Glaube
    • Musik und Theater
    • Filme, Serien, Computer-Spiele
    • Essen
    • Netz-Entwicklung
    • Politik
  • Schule / school
    • Schule / School Blog
    • I. Korrektur-Zeiten Klassenarbeiten
    • II. Klassenarbeits-u. GFS-Termine
    • III. Regeln, Materialien, Notenbildung bei Ebinger
    • IV. GFS bei Ebinger
  • Latein
    • Latein Klasse 7 >
      • Lat. Kl. 7 Passwort-geschützt
      • Hausaufgaben Latein Klasse 7
      • L 1
      • L 2
      • L 3
      • L 4
      • L 5
      • L 6
      • L 7
      • L 8
      • L 9
      • L 10
      • L 11
      • L 12
      • L 13
    • Latein Klasse 8 >
      • Lat. Kl. 8 Passwort-geschützt
      • Hausaufgaben Latein Klasse 8
      • L 14
      • L 15
      • L 16
      • L 17
      • L 18
      • L 19
      • L 20
      • L 21
      • L 22
      • L 23
      • L 24
      • L 25
    • Latein Klasse 9 >
      • Lat. Kl. 9 Passwort-geschützt
      • Hausaufgaben Latein Kl. 9
      • L 26
      • L 27
      • L 28
      • L 29
      • L 30
      • L 31
      • L 32
      • L 33
      • L 34
    • Latein Klasse 10 >
      • Lat. Kl. 10 Passwort-geschützt
      • Hausaufgaben Latein Klasse 10
      • L 35
      • L 36
      • L 37
      • L 38
      • L 39
      • L 40
      • L 41
      • L 42
      • L 43
      • L 44
      • L 45
    • Latein Klasse 11 >
      • Lat. Kl. 11 Passwort-geschützt
      • Hausaufgaben Latein Klasse 11
    • Warum Latein ? >
      • I. Wozu Latein? Was lernt man, wenn man Latein lernt?
      • II. Warum liest man heute noch lateinische Texte? Genügt nicht eine gute Übersetzung?
      • III. Was ist das Besondere an Latein? Wie lernt man Latein?
      • IV. Was unterscheidet das Fach Latein von den anderen Fremdsprachen?
  • Geschichte
    • Oberstufe >
      • Gesch. OSt Passwort-geschützt >
        • Gesch. OSt Loesungen
    • Klasse 7
    • Klasse 8 >
      • Gesch. Kl. 8 Passwort-geschützt
    • Klasse 9
    • Klasse 10 >
      • Gesch. Kl. 10 Passwort-geschützt >
        • Gesch. Kl. 10 Loesungen
    • Klasse 11
  • Kontakt

Bücher und Gedichte

Was ich gerade lese:
Picture
27.12.2021
Zwei Frauen-Bücher, sagt vielleicht jemand, die ich aber mit großem Gewinn und sehr gerne lese.
Den Erfolgs-Roman "Altes Land" bekam ich von meiner Frau zu Weihnachten (auf Anregung meiner Schwiegereltern). Das Thema "Dorfroman" wird hier ja weiter unten unter dem 07.08.2021 bereits aufgegriffen anhand von Walter Kempowskis "Heiler Welt". Autorin Dörte Hansen war auf einer Literaturtagung diesen Herbst in Badenweiler, an der meine lieben Schwiegereltern teilgenommen haben. Dieses Buch von 2015 war ja ein riesiger Erfolg und das ZDF machte dazu letztes Jahr seinen Zweiteiler. Es geht um die Kriegsgeneration, um Flucht und Vertreibung, aber dann auch um unsere Zeit, was heutige Generationen weitertragen und was sie abändern.  Es verwundert, wie heftig die Autorin heutige Mütter des Bürgertums tadelt, also die Prenzlauer-Berg- bzw. Latte-Macchiato-Mütter. Vielleicht ist das auch geschuldet der Tatsache, dass es eine Art Erstlingswerk ist und man da sicherheitshalber vielleicht zu dick aufträgt. Ich habe selber keine Kinder, daher ist das alles für mich sehr interessant. Es erstaunt auch deswegen, weil eine Romanautorin keine Sympathie oder Antipathie zeigen sollte. Meisterhaft dagegen finde ich, dass Hansen hier ganz neutral das Urteil dem Leser überlässt: Das neue Stadtbürgertum, das sich für Landleben begeistert, wird zwar lächerlich gemacht von ihr, aber immerhin wissen diese Leute etwas von Biodiversität (alten Apfelsorten) und Naturschutz, während die echten Bauern im Hamburger Obstland zwar echt sind und genervt von den Städtern, jedoch die Natur verpesten. (Ich bin noch in der ersten Hälfte des Buches.) 
Ähnlich gelagert das folgende Buch von 2020, das ich auf wärmste Zeitungskritik hin kaufte. (Hahn bekam 2021 den Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg.) 
Schon vor einigen Wochen beendet, ist es ein schönes, gekonntes Buch "Auf und davon" von Anna Katharina Hahn, einer der Fälle, wo man nach Ende der Lektüre das Buch richtig vermisst! Meine Schwester sagt, es sei insgesamt doch sehr deprimierend, Opa brennt mit neuer Liebe durch, Oma überfordert und krank, Enkel in Schule gemobbt, Enkelin mit Flüchtling liiert, Alleinerziehende ausgebrannt ... Ich hab mich mehr konzentriert auf die Landschaften (Mainz, Hinterland der großen Seen in den USA, Stuttgart-Hedelfingen) und natürlich fiel mir auch der pietistische Kultur-Hintergrund auf, der hier eingebaut wird mit einer Jungschar bei zwei Aidlinger Schwestern und deren Lieder, die ich auch kenne. Außerdem ist es lustig, dass das fromme Korntal mit "Gottsfelde" getarnt wird. Schwestern gehen unterschiedliche Wege – ist da etwa auch Autobiografisches der Autorin enthalten? Sie soll in Ruit aufgewachsen sein. Faszinierend auf jeden Fall die Generationen von Frauen, wie sie aufeinander folgen und sich abgrenzen, aber auch sich solidarisieren. Die Schilderung von Kindern erinnert stark an Dörte Hansen.   

Picture
28.11.2021
​Ich war vor zwei Wochen ziemlich krank und hab da dieses Buch fertig gelesen. Es ist interessant, die religions-ähnliche Gemeinschaft der Akademiker-Kommunisten im Exil mitzuerleben während des Zweiten Weltkrieges. Vor allem hat mir gefallen, wie auch von dem Malerpaar Frida Kahlo und ihrem Diego Rivera erzählt wird. Wie der in dem Bergstädtchen Cuernavaca eines seiner Monumental-Mauerbilder macht. Über dieses Künstlerpaar sahen wir einst eine Ausstellung in der Kunsthalle in Schwäbisch Hall. Und dann Anna Seghersens grausige Rolle in der DDR! Vielen Dank an meine große Schwester für dieses besondere und farbige Buch, das viel Sonne in den Wintermonat gebracht hat. Ich bekam es zum Geburtstag im Frühjahr von meiner großen Schwester. 

Picture
07.09.2021
Martin Mosebach: Krass. Ein ganz frisch herausgekommener, sehr bunter, gut gegliederter, kurzweiliger, spannender, nachdenklicher, sehr tiefsinniger Roman, der zum Siebzigsten des Autors so warm empfohlen wurde, dass ich ihn für die Sommerferien kaufte, samt dem mitempfohlenen Buch hier drunter. Denn was der Prinz von Äthiopien Asfa-Wossen Asserate 2003 als "Dame" definiert hat, das versucht meiner Meinung nach Mosebach –  teilweise wörtlich übernommen, behaupte ich mal, denn sie sind wohl enge Freunde – als heldenhafte Roman-Frauenfigur uns vor Augen zu malen. Das Buch beginnt in einer Welt noch ohne Internet. Es wird gefaxt. Und wie auch Asserate schreibt, die "Dame" scheint wegen der Emanzipation ausgestorben; aber damals, so der gewagte Versuch von Mosebach, gab es in der "Schönen Welt" noch Damen, hier ist es eine selbstbewusste junge Frau. Wir befinden uns in Hotels von Neapel, baden an der Steilwand von Capri vom Boot aus, genießen – eine tolle Ekphrasis (Beschreibung eines Kunstwerkes innerhalb eines Romans /Epos, vgl. Catulls Epyllion-Gedicht64, Siri Hustvedts "Was ich liebte"  oder Oscar Wildes Bildnis des Dorian Gray) – ​das pompejanische Alexander-Mosaik im Nationalmuseum (>>> siehe Abbilung oben), suchen eine Immobilie mit Fernblick über die Bucht hinweg zum Vesuv! Dieses prall gefüllte Luxusleben führt ein Grandseigneur, wie ihn Asserate als ritterliches Idealbild beschreibt. Gibt es heute noch Damen und Grandseigneurs und wie könnte man sie sich vorstellen? Ein wenig zu viel sinniert mir der konservative Martin Mosebach darüber nach, was heutzutage noch Männlichkeit ausmacht und wie genau ein Mann es schafft, um sich Autorität, echte oder brüchige, und Erotik aufzubauen. Im mittleren Teil treffen wir in der wunderschönen französischen Aquitaine einen Mann, der erotisch gescheitert ist und bescheiden als Handwerker im Kloster lebt (der konservative Katholik Mosebach wird sichtbar). Hier eine andere Form von Männlichkeit, die sich zeigt in technischem Können, Nützlichkeit für die Menschheit, die sich aber ästhetisch irrt, was Erotik betrifft. Im dritten und letzten Teil befinden wir uns ringkompositorisch in Kairo, wo der Grandseigneur aus dem ersten Teil (so viel Spoiler sei erlaubt) elendigst zugrunde geht; inzwischen gibt es Smartphones, die Mosebach niemals "Handy" nennen würde. Ist auch Autobiografisches enthalten? Hat Mosebach (anscheinend treuer Ehemann seit Jahrzehnten) seine Frau auf diese altmodische Weise kennen gelernt wie hier der Herr Krass seine "Dame", die er aber nicht bekommt? Es gibt ja auch noch den nur mittelmäßig erotischen Herrn Dr. Jüngel. Ist er etwa der mit dem letztlich gelungensten Leben? Bei allen Figuren ist pralles Leben, auch bei der "Dame" Lidewine, das aber gebrochen wird und scheitert und dadurch erst lesenswert. Wer dem Glück am nächsten kommt, vielleicht doch der zölibatäre Schuhmachermeister Desfosses?, das bleibt dem nachdenklichen Leser überlassen wie in jedem guten Roman. Allerdings sehr "Alter-weißer-Mann-Literatur"!


07.09.2021
Asfa-Wossen Asserate: Manieren. Frankfurt / Main: Eichborn, 2003 (Die Andere Bibliothek, Bd. 226). (Neudruck Berlin: Aufbau, 2018.) Noch von Hans Magnus Enzensberger ausgewählt für die Andere Bibliothek. Ein Buch im eleganten Plauderton von und für alte weiße Männer. Köstlich z.B. allein das kurze Kapitel darüber, was eine "Dame" ausmacht. (Dabei, so witzelt der extrem geistreiche Autor, schon immer in Deutschland lebender Prinz von Äthiopien, sei er ja ein schwarzer alter Mann!) Einer der besten Freunde des Autors sei Martin Mosebach (siehe das direkt hier drüber besprochene Buch), beide Frankfurt am Main, beide auffallend, z.T. empörend konservativ, las ich irgendwo. Der habe an dem Buch sicher mitgewirkt. Anlässlich von dessen Siebzigstem wurde auch dieses Buch empfohlen. Es ist kein Benimm-Buch, denn die "Manieren" werden sehr weit gefasst und von den Alten Römern und den Rittern des Mittelalters breit gebildet und sehr sachkundig und elegant formuliert abgeleitet. Vorbild sei und bleibe die höfische Welt  von Renaissance und Barockzeit Spaniens, Frankreichs, Englands. Aber auch der byzantinische und russische Hof, Schweden und Vergleiche mit der Welt Afrikas, Indiens und Chinas spielen für den Prinzen immer eine wichtige Rolle bei der Suche nach dem richtigen Ton, Stil, Umgangsform. Das ist für mich als Geschichtler natürlich mehr als lesenswert. (Großartig die immer wieder eingestreuten Ausführungen über Gleichheit aller Menschen als Grundlage der Manieren; Manieren als Kompromiss, um die Standesunterschiede der Ständegesellschaft des Mittelalters menschenwürdig zu gestalten; darüber wie Manieren nach der Französischen Revolution überhaupt noch möglich sind, nach dem Sturz der Monarchien 1918, nach 1968 -- Theodor Adorno kommt öfter zu Wort; tiefe Gedanken über Manieren und Demokratiegeschichte.) Es ist auch weniger ein Buch, das Vorschriften macht, sondern das die vorhandenen Sitten und Gebräuche beschreibt, wie sie nun mal sind. Asserate verkehrt in den höchsten Adelskreisen, da er selber aus einem Kaiserhaus stammt. Aber beruflich ist er auch in den höchsten Gremien der Geschäftswelt unterwegs. Insofern ist das Buch oft sehr weit weg von mir. Ich brauche kein Wissen darüber, wie man elegant, korrekt und doch menschenwürdig mit seinem Fahrer spricht oder seinem Gärtner. Oder ob man seine Tochter lieber  in seiner eigenen Villa ihre Hochzeit feiern lässt oder in einem Hotel. (Der arbiter elegantorum rät klug und feinsinng: unbedingt in der Villa, aber nicht mehr, wenn die Tochter über 40 ist!) Das Sittengemälde wird auf zahlreiche französische und spanische Moralisten gestützt, auf Montaigne und oft auch auf Goethe, eine lustige Anekdote folgt auf die nächste! Ein großer Unterhalter und Charmeur entführt uns hier in die Schöne Welt, wie er sagt, hoffnungslos veraltet, wie er selber zugibt (wie die gesamte deutsche Führungsschicht tut er sich schwer mit der Digitalisierung, träumt vom bleigesetzten Buch -- siehe die Entwicklungsgeschichte dieser "Anderen Bibliothek", die antrat, den Bleisatz zu retten). Aber seine entwaffnende Argumentation: sind wir nicht alle hoffnungslose Romantiker, wenn es beispielweise um Hochzeiten geht??

26.08.2021
Immerhin haben wir es auch geschafft, wieder mehr Bücher zu lesen. Angela ist gestern mit einem schönen Sommerbuch fertig geworden, Elin Hilderbrand: Der beste Sommer aller Zeiten. Ich hab mir empfehlen lassen (ich glaub, von faz.de) zum 70. Geburtstags des Autors: Martin Mosebach, Krass. Ein konservatives Männerbuch, buntes Panorama, mein Urteil schwankt zwischen absolut kurzweilig und lesenswert einerseits und andererseits Altherren-Literatur. Ebenfalls empfohlen wurde da das Buch von Mosebachs Freund: Asfa-Wossen Asserate (Prinz aus dem äthiopischen / amharischen Kaiserhaus, der seit Ewigkeiten in Deutschland lebt): Manieren. Es geht im Plauderton um Benimm-Regeln im 21. Jahrhundert. Auch konservative Altherren-Literatur. "Alter, weißer Mann" kann man da aber nicht kritisieren, denn er ist schwarz. Aber er ist erzkonservativ, scheint sich nur in höchsten Kreisen zu bewegen (welche Manieren hat man gegenüber Hauspersonal, wann trägt man einen Frack, wann einen Smoking), argumentiert aber klug, dass das doch romantisch sei, und sich alle Frauen (und Männer) nach Romantik sehnen. Vor allem leitet er die Benimm-Regeln aus den Jahrtausenden her: Von den Rittern und den alten Römern. Er als Afrikaner kann die alte europäische Kultur besser identifizieren als wir betriebsblinden Europäer selber. Durch seine Weltläufigkeit hat er immer auch den Vergleich parat Europa / Afrika / China / Indien. Sehr kurzweilig und auch provokativ.

Dann lag bei meiner Mutter herum (wo ich auch - leider nur - ein Wochenende war) Lion Feuchtwanger: Jud Süß. Das wollte ich schon lang mal lesen und bin da jetzt begeistert dran. Natürlich wird im Internet kritisiert, dass die Sprache so aufdringlich ist teilweise und dass alles negativ dargestellt wird (obwohl Feuchtwanger Jude war, schreibt er in den 1920er Jahren antisemitische Klischees hinein, wirkt aber dennoch aufklärerisch, da er die Realität so bunt und detailliert extrem gut veranschaulicht), aber ich liebe es, wie er die Begriffe der Barockzeit hinein bringt. Diese gekünstelte, altertümliche, umständliche Sprache, die mich auch im Simplicissimus von Grimmelshausen so zum Lachen bringt! Und es spielt in Stuttgart, im Schloss in Ludwigsburg und in Bad Wildbad! Ein Rezensent schreibt auch, die Welt des württembergischen Herzogs, seiner Bälle, Jagden, achtspännigen Kutschen und Mätressen, der Intrigen, der Staatsverschuldung, des Kampfes des modernen absolutistischen, merkantilistischen Fürsten (mit Hilfe des Finanzrates Süß) gegen die Rechte des Landschafts-Parlamentes, das sich heftig wehrt, sei eine Anspielung an Feuchtwangers eigene Zeit, wo die Weimarer Republik und ihr Reichstag ebenfalls heftig umkämpft waren und ein überforderter Staat viele politische, auch antisemitische Morde, z.B. den an den Ministern Rathenau und Erzberger nicht aufgeklärt bekam. Es ist also eine Art "Babylon Berlin" (siehe die Fernseh-Serie) im barocken Stuttgart. 

Zu Erzberger aktuell:
www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/tuebingen/todestag-matthias-erzberger-aus-buttenhausen-100.html

07.08.2021
Ein lieber Freund schenkte mir Walter Kempowski: Heile Welt (spielt 1961, geschrieben 1998, neun Jahre vor seinem Tod). Ich lernte erstmals dessen interessantes Leben kennen (wikipedia sei Dank). Ein Anti-Kommunist, der als junger Mensch krass zwischen die Fronten des Kalten Krieges geriet. Die harte sowjetische Speziallager-/Zuchthaus-Haft in Bautzen schädigte den großbürgerlichen, hanseatischen Sohn so sehr, dass er wie Günter Wallraff "ganz unten", aber viel existentieller neu anfing als Dorfschullehrer (erinnert natürlich an den großen Philosophen Wittgenstein, der auch genau dies tat). Deswegen schenkte es mir mein Freund, weil mein 2018 verstorbener Vater ja in genau dieser Zeit ebenfalls als Dorfschullehrer seine Existenz aufbaute. In dem autobiografisch gefärbten Werk voller Humor und denkwürdiger Anspielungen an die junge Bundesrepublik, den aufkommenden Wirtschaftswunder-Wohlstand baut der Schriftsteller nicht nur ständig ein, dass genau an dieser und jener romantischen Stelle auf dem Land in Niedersachsen in der Nazi-Zeit Grausiges geschah, sondern gegen Ende seines Lebens 1998, als dieses Werk entstand, betont er auch, dass sexuelle Freizügigkeit nicht erst von den 68ern und der damaligen sexuellen Revolution erfunden worden ist. Weil in jedem Roman die Sexualität dazu gehört (Roman = in epischer Breite das GANZE Leben darstellen), so zieht er eine Linie von der sexuellen Freizügigkeit der Kriegszeit (Lebensborn und Hitlerjugend / Kriegsgefangene / Fremdarbeiter als willkommene sexuelle Abwechslung auf dem Land mit wenig Auswahlmöglichkeiten), eine Linie zur sexuellen Freizügigkeit in der Nachkriegszeit VOR 68 (vergleiche auch den Roman "Heimatjahre" von Felix Huby)! Im Künstler- und Intellektuellenmilieu (ähnlich wie Emil Nolde in Siegfried Lenzens "Deutschstunde" "zu einem NS-Opfer verklärt" -wikipedia- wird, so gibt es bei Kempowski ein Künstler-Tochter eines ebensolchen Halb-NS-Opfer-Dorfkünstlers) herrscht knisterende Freizügigkeit, wenn auch verdeckt, denn wir befinden uns ja in der Adenauer-Ära-"Restauration", aber ebenso bei der nächtlichen Dorfjugend. Allerdings betont die Kritik, dass der Autor selber als junger Lehrer monogamer Kindsvater war. Hier ist vielleicht dem alten Schriftsteller die dichterische Lizenz und Phantasie wichtig gewesen.

Wichtig sind auch vielleicht noch zwei Dinge: a) wie der deutschlandfunk betont, dass es ein großer Schulroman ist, der Georg Pichts "Bildungskatastrophe" (1965) sehr sympathisch und anfassbar sichtbar macht, mit prallem Leben füllt: die Typen von Dorfschullehrern, den Schulrat, den Bürgermeister, die Eltern. Traditionell will man immer noch, dass die Kinder nicht zu viel lernen, alles ist sehr ärmlich (Kempowski lässt den Lehrer "Jähnicke" "ganz unten" sein bei den Dorfkindern), sehr patriarchalisch (die ersten Dorfschullehrerinnen werden meisterhaft geschildert), der Autor geißelt fast unbemerkt die Sparsamkeit im Bildungswesen, wenn er aufzeigt, dass der rechte Gebäudeflügel sowie die Kunstwerke, die die neue Schule schmücken sollten, der Finanzierungs-Realität zum Opfer gefallen sind (Thema Schulgebäude) - renoviert wird erst, wenn man sich mit Bürgermeister und Honoratioren gut stellt, also eine Form von patriarchalischer Korruption -, aber auch dass die Dorflehrergehälter von einem Tag auf den anderen verdoppelt werden mussten auf Druck der Gewerkschaft, zeigt die krasse Sparsamkeit, die nicht zum Wirtschaftswunder passt, und auch der grassierende Lehrermangel zu Lasten der Kinder, mit dem sich einfach abgefunden wird (Thema Personalausstattung) wird unaufdringlich ans Licht gehoben. 
b) In Seminarkursprüfungen durfte ich den Sozialistischen Realismus in der DDR-Literatur ansatzweise streifen. Da gab es Bestrebungen, im Kombinat "Schwarze Pumpe" Arbeiter zu Literaten zu machen. Die Menschen ganz unten, die Alltagsrealität gehört zur Wahrheit und Schönheit! (Vergleiche, wie Erich Auerbach die "sozialistisch-realistische" Darstellung der grausamen Kreuzes-Folter, die erst im Spätmittelalter aufkam -Zisterzienser und Franz von Assisi- als Wendepunkt der Kunstgeschichte herausarbeitet, weil nun auch Grausames ins Licht der Schönen, Wahren und Guten gehoben wird.) Das erst ist Demokratie und Gleichheit! In Walter Kempowski fand ich ein westliches, anti-kommunistisches Gegenstück dazu, das genau dasselbe Ziel verfolgt. Auch in seinem "Echolot"-Projekt, so lese ich, hat Kempowski die Welt der normalen Leute ans Licht gehoben, wie es der Anspruch in einer Demokratie sein sollte. Ein Studienkollege aus dem Ruhrgebiet schrieb mir, er habe Kempowski noch nicht gelesen, halte es da eher mit dem ebenfalls sehr köstlichen Dorf-Realismus eines Theodor Fontane (den ich auch sehr schätze). Kempowski, so lese ich, wird aus genau den hier genannten Volks-Schriftsteller-Gründen von manchen immer noch an der Grenze zum Kitsch angesiedelt. 

https://www.deutschlandfunk.de/heile-welt.700.de.html?dram:article_id=81135 


Was ich gerne läse:
21.02.2022
Maddalena Fingerle: Muttersprache.
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/maddalena-fingerle-und-ihr-debuetroman-muttersprache-17820119-p3.html
15.05.2021
Als mein lieber Freund am 10.03.2021 seinen Geburtstag hatte, ging es um die Herrnhuter Losung des Jubel-Tages. Da sendete er mit diese großartige, professionelle und sehr gut aufbereitete Erklärung seines Tages-Spruches:
Was ich gerade lese:
21.04.2021
Als mal zwischen den Phasen der Pandemie die Buchhandlung offen war, kaufte ich endlich und las: Christian Kracht: Faserland. Sein Debüt von 1995. Und das von ihm auch auf facebook vermarktete, neu erschienene Eurotrash, das ja die Fortsetzung darstellt von Faserland. (Faserland bezieht sich vielleicht auf das düstere "Fatherland" von Robert Harris von 1992?) 
Beides sehr kurze, gut lesbare, auch witzige Bücher; aber auch provozierend, da der Reichtum ekelt (aber auch sprachlos macht) und die Nazivergangenheit. Gute Epik! So muss Literatur heute wohl sein. Schauerlich und doch poppig und "krass". 

12.02.2021
Zum wunderschönen Winter draußen!
Wunderschönes Schnee-Gedicht von Martin Suter:
www.martin-suter.com/stephan-eicher-und-martin-suter/alles-weiss/
Picture
11.10.2020
Im Sommer kaufte ich in der "Strand-Buchhandlung" von Zinnowitz  (und las es auch) den aus sehr britischer Perspektive geschriebenen (der Autor ist -ähnlich wie der australische Angelsachse und Kosmopolit Christopher Clark- wohl mit einer Deutschen verheiratet, siehe die Widmung und Danksagung) Bestseller James Hawes: Die kürzeste Geschichte Deutschlands. Wie Clark ist er rätselhaft auf Preußen fixiert, zeigt wie er ein unbändiges Interesse an diesem Rätsel des wieder stark gewordenen und sich im Berlin dieser Jahre auskristallisierenden Deutschland, vielleicht bei beiden angeregt durch ihre Ehefrauen. (Aber vielleicht ist dieses Denken an eine den Mann anregende Muse eine Männerphantasie …) Aber während Clark Preußen zu rehabilitieren versucht (wenn ich ihn recht verstehe; ich habe allerdings noch viel zu wenig von ihm gelesen), zumindest das positive Wertpotenzial zu heben versucht, das es dort für ihn eben auch gibt neben allem Negativen, verurteilt dagegen Hawes Preußen von vorne bis hinten. Nur ein un-preußisches Deutschland kann ein gutes Deutschland sein. Die gesamte Geschichte richtet er an dieser Idee aus, die sich auf die Idee der „westlichen Wertegemeinschaft“ gründet. Und Preußen sei eben immer der „Osten“. Auch sonst ist Hawes sehr Meinungs-stark, wie man so schön sagt, modisch politisch unkorrekt. Wer traut sich schon, die deutsche Geschichte mit Hermann dem Cherusker beginnen zu lassen und der sagenumwobenen Schlacht im Teutoburger Wald? Das klingt doch nach Ernst Moritz Arndts dunkleren Verirrungen, nach deutsch-nationalem Kaiserreich, nach verstaubtem Schwulst eines Felix Dahn! Für mich als Geschichtelehrer, der diese Zeiträume in wenigen Unterrichtseinheiten durchschreiten muss, ist das Buch genau deshalb lesenswert. Vielleicht ist diese mutige Einteilung der Jahrtausende in ein übersichtliches „Narrativ“ der Naivität des Laien geschuldet, oder der britischen Begeisterung für Militärgeschichte, oder ist es bewusst gegen den Mainstream geschrieben? Jedenfalls bringt es viele Anregungen für den Aufbau des Unterrichts mit sich. Es lässt sich laut Hawes nämlich nicht nur nebenbei die Entstehung Frankreichs in der deutschen Geschichte unterbringen (beim Frankenreich Karls), sondern Hermann der Cherusker und die Völkerwanderung seien auch die Wurzel der englischen Nation, wie man erstaunt in wenigen Zeilen erklärt bekommt!
Dieses Erfolgsbüchlein erinnert mit seinem Titel auch an einige andere modische, aber vor allem an ein bei den Lesern noch um ein Vielfaches erfolgreicheres Buch: Yuval Hararis „Kleine Geschichte der Menschheit“. Dieses las ich auch diesen Sommer endlich fertig und würde es gerne hier noch besprechen. Beide Bücher verbindet, dass sie aus vielen echten Begegnungen und irritierenden Gesprächen entstanden zu sein scheinen. Auf youtube findet man bei Harari, dass eine Erst-Semester-Vorlesung und der Kultur-Schock, den diese brachte (wie kann man Geschichte studieren wollen und so wenig über Geschichte wissen??), der Zündfunke war für den Explosions-Erfolg des Bestsellers. Auch bei Hawes meint man das Ergebnis vieler Begegnungen und Diskussionen zu lesen!

Und schließlich lese ich grade Hedwig Richter: Demokratie, eine deutsche Affäre. Dieses für den Bayerischen Buchpreis 2020 nominierte Buch meiner Schwester wird rauf und runter besprochen und es finden einige Lesungen und Podiumsdiskussionen statt. Ich bin noch nicht sehr weit, aber wie immer bei ihren gut lesbaren Büchern bereits begeistert und (was man ja nie sein sollte) unfassbar stolz! 

Picture
15.12.2019
Letzte Woche beendet: Jens Böttcher: Herr Sturm und die Farbe des Windes. Eine fabelhafte Reise durch die Welt des Glaubens. Holzgeringen: SCM, 2016. Autor schreibt übrigens Gags für die Satiresendung "Extra 3" des NDR, lebt wie die Hauptperson des Buches in Hamburg. Wie in dem Buch von Gary Shtyngart, das hier direkt drunter besprochen wird, geht es auch hier um einen Autoren meines Alters, der wohl mit autobiografischen Anklängen über die Brüche in seinem bisherigen Leben sinniert. Hier allerdings gut kombiniert mit einer spannenden Entdeckungsgeschichte, die -- wohl ähnlich wie im Buch "Sophies Welt" die Philosophie -- die Weltreligionen kurzweilig und anschaulich, aber auch lustig und schalkhaft darbietet. Jens Böttcher, vor einigen Jahren "zum Christentum konvertiert" (wikipedia), ist selber eine Art Rocker, irgendwie ein ein wenig kaputter Typ, weltoffen, alles andere als frömmelnd eng, in Gegenteil, er ist sehr frei und kritisch, man merkt kaum, dass er selber Christ ist (siehe seine youtube-Kanäle, z.B. "Tiefsehtauchen"). Sein Protagonist erlebt eine innere Reise, gut gemacht, anschaulich, teilweise extrem lustig der Wortwitz, traurig, tiefsinnig, aber: Happy End. Heilung gibt es der seelischen Wunden und Lebensinhalt für einen Obdachlosen. 

15.12.2019
Endlich fertig gelesen: Gary Shtyngart, Lake Success. Random House. 2019.  Rechts in der Rubrik "Was ich gerne läse" unter dem 14. + 25.04.2019 erwähnt. An meine Schwester schrieb ich dazu Folgendes: Echt lustig und krass. Aber er gibt ein Sittengemälde der amerikanischen und auch unserer Gesellschaft von ganz oben bis ganz unten, vom Geldverdienen, vom Kinder Erziehen, Beziehungen scheitern und entstehen. Echt lustig. Ich versteh zwar nur die Hälfte (viel extrem cooles Andeutungs-Englisch), aber es liest sich leicht. Ich tat mich am Anfang schwer, fasste es erst Monate gar nicht an, dann las ich mühsam das erste Drittel, nun in kurzer Zeit den Rest. Es wurde immer besser. Die Hauptperson "Barry" ist in unserem Alter und hat zwar viel Geld und kann sich immer grade noch so retten, aber eigentlich ist sie ein riesiger Idiot und Versager und Vieles misslingt. Zum Schießen! Ich leih es Dir mal aus. Obwohl Du mit einem Kind sicher nicht wirklich viel Zeit hast! Aber wer weiß, vielleicht hast Du mal einen ruhigen Moment und Lust. Die Süddeutsche Zeitung hat es mehrmals so warm empfohlen, bis ich es gekauft hab. Es gibt unsere momentane Zeit sehr gut wieder: Helikopter-Eltern hier, verwahrloste, arme Kinder da. Wütende Unterschicht, die Leute wie Trump (oder jetzt in England Johnson) wählen hier, die Zu-viel-Verdiener da, die nicht wissen, was sie mit ihrem Geld machen sollen (dieser Part ist am Schluss sehr gut getroffen). Politische Über-Korrektheit und weißes Establishment hier, aller-bunteste und diverseste Einwanderer-Gesellschaft da (Barry ist eine Zeit lang mit einer Inderin verheiratet und die indische Küche wird wärmstens beschrieben mit Ingwer und Kurkuman). 

10.09.2019
Auf facebook kam grad ein Lied / Gedicht rein. Da es unter "öffentlich" geteilt wurde (graues Weltkugelsymbol), bin ich so frei, es auf meinem Blog zu teilen!
Zitat aus facebook von heute um 20.45 Uhr:
Tobias Faix ist mit Manuel Steinhoff unterwegs.
vor 5 Std.
heute mit dem wortgewandten Marco Mlzk und dem Soundschöpfer Manuel Steinhoff zusammengesessen und über das Leben sinniert, über all das Schöne und Wunderbare, all das Suchende und Zweifelnde, über das Fallen und Aufstehen und den Glauben an all das und wieder festgestellt, wie vielfältig und spannend das Leben ist und dass wir alle einen kleinen "Ikarus" in uns haben, einen Bruchpiloten, der hoch hinaus will und dabei oft tief stürzt....
"Und ich falle / Ich falle / Bitte fangt mich nicht auf / Lasst mich fallen / Mich fallen / Den Absturz nehm ich in Kauf // 
Stürz ich ungebremst in den Ozean / Der das Meer seiner Liebe ist / Ich falle tief in den Krater / Seiner geräumigen Gnade / Weil ich inmitten von Fragen / Die in meinem Raum stehen / Am Ende des Tages zaghaft erahne: / Ich bin gefangen und getragen / Von ewigen Armen //"

#ikarus #neuesProjekt #dieSehnsuchtinuns


Die neue CD heißt: Marko Michalzik: Ikarus
 

06.08.2019
Die Schlaffers! Ein tolles Philologen-Paar (so wie auch die Assmanns)!
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/die-elegante-germanistin-hannelore-schlaffer-wird-80-16319619.html

Hier noch ein nettes Porträt der heute achtzig Gewordenen von 2011, ein Schlaglicht aus dem Stuttgart von 2011: Theater, Liederhalle, Restaurant "Fellini" im Behnisch-Bau.
https://www.welt.de/print/die_welt/kultur/article13247784/Hannelore-Schlaffer.html

Und hier zum Achtzigsten von ihm! War auch erst eben! Nicht mitbekommen! 
https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.heinz-schlaffer-achtzig-eros-und-erkenntnis.4973b1e7-91e6-4e61-b4c4-772f2a0cddb2.html?fbclid=IwAR02ddFphYPNRhA0Cag78N-ko4zIq29xPMlHNi7uHYHS6YFUE_5YUftwObs
​
06.08.2019
In der SZ heute preist Feuilletonist Tobias Lehmkuhl die oft übersehene DDR-Dichterin Elke Erb als große Sprachkünstlerin: "Eine ganze Generation hat von ihr gelernt". Ihre "Publikationslage" sei "geradezu ein Skandal", sie habe den Büchner-Preis verdient. Ihr neuester Band für 10 Euro: "Gedichtverdacht" (soeben in der Christlichen Buchhandlung Pforzheim bestellt). Textbeispiel: 
Ich fange eine Taube Oh Jetzt
habe ich die 2, habe ich die 2
Flügel, bin ein von Luft
umfangenes Leben Wunder
Leben Ein & Ausatmen
oh Auf & Ab Flügel
Köpfchen Schnabel Wolke

--> Lehmkuhl erklärt: "eine sich in die Lüfte schwingende rhythmische Bewegung im letzten Vers" -- "was ... für Schätze"!

10.06.2019
Manfred Lütz: Skandal der Skandale. 2018. Siehe unten 06.11.2018, das zweite Werk von oben. Hab es leider grad verliehen. Die Kirchengeschichte und ihre negative Klischees werden widerlegt: Hexenverfolgungen, Kreuzzüge. Aber gute Rezension in der ZEIT: 
​https://www.zeit.de/2018/37/skandal-der-skandale-geheime-geschichte-christentums-manfred-luetz

14.04.2019
Ce sont les vancances de Paques! Also Lesen wieder möglich! 
Das christliche Buch des Ostküsten-Rechtsanwaltes Randy Singer: Das Tribunal. Viel lieber würd ich es auf Englisch lesen (The Advocate)! Der erfahrene Bestseller-Autor lässt hier die Zeit eines Seneca wieder aufleben, die Zeit von Jesu Kreuzigung! Wie passend zur Karwoche! Ein Genuss. Gut geschrieben. Antikes Klassiker-Wissen neu aufbereitet für uns heute in  der Trump-Ära! 

06.11.2018
Heute kam rein: 
Joachim Hentschel: Zu geil für diese Welt. Die 90er -- Euphorie und Drama eines Jahrzehnts. München: Piper, 2018. Der Autor war einmal mein Studienkollege in Tübingen. Wir kannten uns ziemlich flüchtig. Er wurde berühmt, war zum Beispiel Chefredakteur beim Magazin "Wired". Schon als Student war er sehr kurzweilig und lustig und hatte immer verrückte Ideen. In dem Buch, das auch verrückt daher kommt, wird er aber ein winziges bisschen seriöser. Denn seine lustigen Analysen des Lebensstils nach dem Mauerfall und vor Nine-Eleven, dem Einsturz der Zwillingstürme in New York, sind wirklich tief schürfend und bringen zum Nachdenken. Denn diese Epoche unterrichte ich immer nach dem schriftlichen Abitur. Und da haben die Schüler mehr Freiheiten, sie arbeiten in Projekten, in Modulen, oder wie der Lehrplan das nennt. Hier aber kommt man beim Lesen in Grübeln: Was unterrichte ich da eigentlich all die Jahre? Was habe ich wie selber erlebt? Joachim Hentschel ist nämlich auch meine Altersgruppe.

Rezension:
www.sueddeutsche.de/kultur/zeitgeschichte-freiheit-bedeutet-stress-1.4328294
​
06.11.2018
Schon länger lese ich an folgenden Büchern herum (nur das letzte ist neu): 
Wolfram Eilenberger: Zeit der Zauberer, das große Jahrzehnt der Philosophie 1919--1929. Stuttgart: Klett-Cotta, 2018. Sehr empfohlen vom Feuilleton, und es liest sich wirklich herrlich, Familiengeschichten, Affären, Geldnot, Karrierepläne der vier großen Philosophen Wittgenstein, Cassirer, Benjamin und Heidegger. Obwohl die sich nicht kannten, weist der sehr belesene Autor anschaulich nach in dieser abstrakten Materie, dass sie teilweise haargenau die gleichen weltbewegenden Ideen hatten in dieser unruhigen Zeit. Durch die Verbindung mit der Wirklichkeit, Orten und Zeiten wird es anschaulich und menschlich. Erinnert ein wenig an des Erfolgsbuch "1913" kürzlich. (Nicht mehr verarbeitet ist allerdings die neueste Entwicklung: Dem großen Martin Heidegger konnte durch neue Funde von Tagebüchern und Briefen (?) so viel Rassismus und Antisemitismus nachgewiesen werden, dass sowohl sein Lehrstuhl als auch das ehrende Angedenken an ihn weitgehend gestrichen wurden.)

Manfred Lütz: Der Skandal der Skandale. (Siehe oben 10.06.2019.) Die geheime Geschichte des Christentums, unter Mitarb. v. Prof. Dr. A. Angenendt. Freiburg: Herder, 2018. Der konservative, unheimlich bekannte Autor versucht hier eine populärwissenschaftliche Verteidigung der Geschichte des Christentums. Er will die wissenschaftliche Arbeit von Professor Angenendt einem breiteren Publikum zugänglich machen. Christianisierung, Kreuzzüge, Zwangsmission, Kolonialismus, Kirche und Nationalsozialismus, "Skandale am laufenden Band". Man möchte noch den Kindsmissbrauch, der jetzt aufgedeckt wird, ergänzen! Dem allem will Lütz Zahlen und Fakten entgegen halten. Eine große Apologie, ein neuer Augustin ist auferstanden, der in seinem "Gottesstaat" (civitas dei) ja letztlich auch das Christentum verteidigen will gegen den Vorwurf, es sei mit seiner Weichlichkeit am Untergang der römischen Zivilisation schuld. Es ist schwungvoll geschrieben, es greift wirklich weit aus, indem es keinen Skandal auslässt, aber ob das Buch nicht manchmal etwas hölzern wirkt? Dennoch lesenswert.

Nicola Gardini: Latein lebt. Von der Schönheit einer nutzlosen Sprache. Aus dem Italien. v. Stefanie Römer. Hamburg: Rowohlt, 2017. Auch dieses Buch im Feuilleton sehr gelobt. Aber das Schöne an diesem Schönheitsbuch: Ich bekam es geschenkt von lieben Freunden! Was für eine glückliche Überraschung. Das Buch ist anschaulich, da es auffällige Textpassagen auf Latein bringt samt Übersetzung, und darauf die ganze "Schönheit" begründet. Zum Beispiel aus einem lateinischen Sachbuch die Stelle, wie man Räucherschinken herstellt S. 35: Cato der Ältere beweist selbst bei dieser rustikalen Tätigkeit Stil-Bewusstsein. Der Text ist gespickt mit Stilmitteln. Nicht nur der Räucher-Schinken (perna) duftet und schmeckt, sondern auch der Text über ihn! 

27.09.2018
Ich höre grade beim Geräte-Training das Hörbuch: Franz Werfel: Die vierzig Tage des Musa Dagh. Ein Denkmal für die dem Untergang geweihte, seit Jahrhunderten mulitkulturelle Gesellschaft der Levante (Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien -- spielt aber noch zu Zeiten des Osmanischen Reiches vor dem Ersten Weltkrieg). Ein Denkmal für die Minderheit der Armenier, der uralten Hochkultur, die so früh das Christentum angenommen hatte. Feiner Salon-Ton, gemütlich, vielleicht etwas zu ausschweifend für das heutige schnelle Internet-Zeitalter. Für das Geräte-Training aber muss das kein Fehler sein, denn da hat man ja Zeit. 
Franz Werfel, lernte ich bei den Katholiken von der fabelhaften Bewegung Comunione e Liberazione (CL), wo der auch auf dem Lektüreplan stand, Franz Werfel ist Jude und Weltbürger (wie auch die Hauptfigur aus "Musa Dagh": Weltbürger und Armenier), der auf der Flucht vor den Nazis in Lourdes landet im weltberühmtem Wallfahrtsort. Dort findet er zum christlichen Glauben. Unfassbar und denkwürdig.

16.09.2018
Dank der faz stieß ich darauf. Horaz ist wirklich sehr hohe, sehr klassische Kunst, also sehr Hochprozentiges. (Siehe hier drunter den Eintrag vom 24.02.2018.) Nichts für jedermann. Ich versteh es auch nicht, genieße es aber trotzdem, es einfach anzuhören. 
Hier die Interpretation:
www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/frankfurter-anthologie/frankfurter-anthologie-ode-4-3-von-horaz-15788084.html
​

12.09.2018
Der berühmte Rowohlt-Verlag möchte in schwierigen Internet-Zeiten seine Chefin Barbara Laugwitz loswerden und durch den Autor des von mir sehr gerne gelesenen, genialen Buches "Neunzehnhundertdreizehn", Florian Illies ersetzen. Der sei medienwirksamer und mehr eine Marke als die stille Frau Laugwitz. Auch die SZ vorgestern verteidigte dagegen die Chefin. (Lesebericht unten vom 7.3.2017.)

www.spiegel.de/kultur/literatur/rowohlt-unruhe-nach-wechsel-von-barbara-laugwitz-zu-florian-ilies-a-1227724.html

​
Picture
Lesebericht vom 29.07.2012, getippt im Aug. 2018, über
 
Eric Metaxas,
Bonhoeffer: Pastor, Agent, Märtyrer und Prophet.
Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2012 (Orig. 2010).
 

Sehr anschauliche Zitate an jedem Kapitelanfang machen dieses bibliophil gestaltete Buch zusammen mit vielen witzigen Anekdoten leicht lesbar. Ähnlich wie Thomas Mann in seinen Buddenbrooks stellt Metaxas uns ein Familiengemälde vor Augen voller schrulliger Hausfreunde, prominenter Onkels aus Adel, Militär und Wissenschaft zusammen mit einem bunten, prallen Familienleben im vornehmen Berliner Grunewald sowie in der Sommerfrische im Harz.
 
Mein erstes Wissensloch und Staunen beim Lesen über Bonhoeffer war, dass dieser Mann, der für seinen Glauben starb — der Glaube drängte ihn dazu, politisch zu handeln und in den Widerstand zu gehen —, dass dieser Mann in keiner Familie aufwuchs, die den Glauben praktizierte. Da war kein sonntäglicher Gottesdienstbesuch oder christliche Gemeinschaft. Man blieb in seinem großbürgerlichen Milieu unter sich. Die Freizeit verbrachte man mit benachbarten Professoren- und Staatssekretärs-Kindern. Lauter klingende Namen aus dem eben untergegangenen Kaiserreich. Ein Who-is-Who der deutschen Kulturgeschichte tut sich auf, vom extrem belesenen Eric Metaxas warm und faszinierend anschaulich erklärt in den farbigsten Zusammenhängen. Der Autor aus dem New York des 21. Jahrhunderts hat sich hier in das Berlin der Weimarer Zeit hinein gelebt. Auch die späteren Ehepartner der Bonhoeffers-Kinder entstammen diesem glanzvollen Milieu der Hausmusik, der wissenschaftlichen Konversation auf Weltniveau und des trotz Kriegsniederlage im Ersten Weltkrieg ungeheuren Selbstbewusstseins.
 
Wenn später im Buch der Protagonist nach New York fährt, hat er im Gepäck als wichtigstes Stück einen ausgearbeiteten Vortrag, mit dem er in den USA die Absurdität des Kriegsschuld-Artikel des Versailler Vertrages und die Ehre Deutschlands angesichts des verlorenen Ersten Weltkriegs verteidigen will. Auch reist er mit dem Selbstbewusstsein, dass sein Studienfach Theologie — vertreten in Berlin u.a. durch seinen Lehrer Adolf von Harnack, mit dem zusammen er immer die S-Bahn vom Grundwald an die Uni nahm — in Deutschland Weltrang habe. Die New Yorker theologischen Fakultäten, so denkt Bonhoeffer, als er in Manhattan aus dem Dampfer steigt, können seinem wissenschaftlichen Umfeld nicht das Wasser reichen. Es ist köstlich zu lesen, wenn der New Yorker Intellektuelle Metaxas immer wieder die scharfen Urteile Bonhoeffers über die jämmerliche wissenschaftliche Arbeit an den dortigen Seminaren und Fakultäten jener Zeit ausführlich zu Wort kommen lässt.
 
Diese aristokratische Haltung und Lebenszuschnitt illustriert der Autor detailreich: Nach dem Essen wird Shakespeare in verteilten Rollen gelesen — das praktiziert Bonhoeffer später auch mit seinen Pfarramtskandidaten in Finkenwalde. Und dabei kann Shakespeare sehr deftig sein, unanständig bis geradezu pervers, ist aber voll prallen Lebens, Humor und buntester Farben.
Es werden Zigarren geraucht, Bonhoeffer liebt Motorradfahren und die damals neue Automobiltechnik. Er geht gerne ins Kino, ebenfalls neu damals. Die Kino-Wochenschau — Vorstufe der heutigen Tagesschau — nutzt er mit zahlreichen Zeitungen, um politisch auf dem Laufenden zu bleiben. Er liest und schreibt viel, spielt sein Klavier. Ist ehrgeizig. Zur preußischen Disziplin gehört aber auch, spartanisch leben zu können. Er lebt jahrelang bei seinen Eltern in seinem kleinen Jugendzimmer, übernachtet am Wochenende oft in einer Holzhütte. Auch die Wichtigkeit der Familie und ihrer Kontakte, die Anhänglichkeit und das Aufschauen zu den erfolgreichen Eltern wirkt aristokratisch.
 
Aber dann kommt der Glaube in sein Leben. Als er theologische Vorlesungen an der Universität in Berlin hält, fällt ihm beispielsweise in der Weihnachtszeit auf, seine Studenten, obwohl angehende Pfarrer, wissen keine Weihnachtslieder zu singen! Da vereinbart er mit ihnen einen Termin, um sich privat zum Liedersingen zu treffen. So kommt der Großbürger und brillante Theoretiker Bonhoeffer zur Glaubenspraxis. Er sieht prophetisch die Notwendigkeit, dass die Lehre noch so wahr und klug sein kann, es aber nichts hilft, wenn es nicht konkret wird. Er ist sich auch nicht zu schade, einen Kreis um sich zu scharen, wo Gemeinschaft gelebt wird — ein Grundmerkmal christlichen Glaubens. Zum Erstaunen seines Oberschicht-Umfeldes will er erstmal nur Pfarrer sein: Ähnlich wie Karl Barth, mit dem er Kontakt pflegt, will er — sicher auch weil der Erste Weltkrieg, die sog. Urkatastrophe des Jahrhunderts, alle Gewissheiten auf den Kopf gestellt hat — radikal sein, neu, echt in Predigt und Handeln. Das zeigt sich ja auch in der Kunst dieser Zeit und der Philosophie. Aus dem Kaiserreich heraus bewahrt er sich zwar zunächst noch die aristokratische Haltung und das Selbstbewusstsein des Weltniveaus der eigenen Kultur und Wissenschaft, aber ganz dialektisch wie Karl Barth erniedrigt er sich zugleich ins Praktische, ins Echte. Jugendbewegt geht er mit seinen Konfirmanden in die Natur, biwakiert mit Ihnen in der Hütte, trifft sich mit ihnen in einfachen Räumen im Arbeiterviertel, die er anmietet, sucht bewusst christliche Gemeinschaft und praktisches Christentum.
Das ist ungewöhnlich und gegensätzlich zu seiner sozialen Herkunft. Vielleicht merkt er, was sonst evangelische Theologen damals selten wahrnahmen: dass die deutsche und protestantische Weltgeltung durch das Kaiserreich auch viel Hohles enthielt. Sonst wäre preußischer Glanz und Gloria nicht so krachend untergegangen 1918. Hinter der Glanzfassade, vor der er aufwuchs, sucht Bonhoeffer das echte Christentum, praktiziert es in Gemeinschaft mit einfachen Gemeindegliedern, macht Ernst im Glauben. Und das führt ihn später auch in die politische Arbeit und in den Märtyrertod.
 
Dieser letzte Gang wird ungeheuer dramatisch beschreiben. Er zog sich über Tage hin, bot viele Möglichkeiten zur Flucht. Bis zum Schluss war es nicht klar, ob es überhaupt zum Äußersten kommt. Das Kriegsende war so nah! Man ist nach dem Lesen erschöpft, schockiert, tief getroffen und spürt aus den Worten des amerikanischen Autors, wie stark und majestätisch Bonhoeffers Gott in der tiefsten Tiefe sich zeigt und grad da im Schmutz und der Schwäche die „Werke des Teufels“ ein für alle mal zerstört. So erlebte ich persönlich, wie ein versteckter Nazi-Sympathisant 1. nichts von Bonhoeffer wusste, 2. von seinem Gedicht „Von guten Mächten“ angesprochen und von seinem Nazi-Martyrium unmittelbar getroffen wurde.
 
Wenn bei mir etwas Unvergessliches hängen bleibt von diesem Bonhoeffer-Buch, dann das oben schon öfter genannte, was auch der Untertitel nennt, die Eigenschaft dieses Märtyrers als Prophet. Mit seiner fast schon arroganten Überzeugung, dass die Deutschen am Ersten Weltkrieg keine Schuld trügen, war er zwar noch nicht zu unterscheiden von den meisten Preußen und Protestanten seiner Zeit. Prophetisch ragt Bonhoeffer aber heraus, wo er Dinge entgegen seinem Umfeld sofort erkennt, die sich Jahrzehnte später als richtig erweisen. Natürlich zuerst darin, dass er die Pflicht zum aktiven Widerstand gegen die Nationalsozialisten  als einer der ganz wenigen nicht nur erkennt, sondern sie auch erfüllt, und dies mit Haft bezahlt, Folter, ja der Hinrichtung. Aber auch woanders wird deutlich, wie geisterfüllt und prophetisch Bonhoeffer seiner Zeit weit voraus war. Nicht nur packt er seinen stolzen Vortrag über die deutsche Unschuld in den USA schnell beiseite, er geht in New York in die Schwarzen-Ghettos und besucht die dortigen Gottesdienste. Ohne Scheuklappen oder Neid überspringt seine Erkenntnis allen rassistischen Dünkel der Zeit und alle gängigen Grundüberzeugungen. Er nimmt sofort wahr, dass diese Art, wie Unterdrückte glauben, samt ihrer Gospelmusik das wahre Christentum verkörpern im Gegensatz zu den reichen, liberalen Kirchen in den besseren Stadtteilen. (Eric Metaxas als New Yorker kann faszinierend jede Straße, jedes Gebäude, berühmte Persönlichkeiten und geistige Strömungen schildern, die damals seine Heimatstadt prägten. An diesen Stellen — man spürt das — steigert sich sein bereits enorm anschauliches und leidenschaftliches Buch zu schönen Höhepunkten. Bonhoeffer wird hier wohl auch dem intellektuellen New York von heute vorgehalten als Beispiel.)
 
Zurück in Berlin, spielt Dietrich Bonhoeffer seinen Studenten mitgebrachte Schallplatten aus New York vor! Ein ganz neues Medium damals, zumal für einen Theologie-Dozenten! Und was ist der Inhalt: Spirituals, Gospels, sozusagen Neger-Musik! Und das in der Nazi-Zeit an der Uni, wo doch die arische Elite ausgebildet wird! Bonhoeffer lässt sich nicht blenden. Das ist gelebter Glaube, vor allem aber die Glaubens- und Musikform der Zukunft. Obwohl alles gegen ihn spricht, erkennt er prophetisch, was dann erst in den 60ern und 70ern langsam Einzug hält in Europa an neuer Kirchen- und überhaupt neuer Musik. Ähnlich ungewöhnlich ist, wie Bonhoeffer einen katholischen Franzosen in New York zum Freund gewinnt. Was erst die deutsch-französische Aussöhnung oder die Ökumene nach dem Zweiten Weltkrieg in Angriff nahm, hier erkennt jemand den Jahrhunderte alten Irrtum, den viele Preußen und Evangelische hegen gegen Katholiken und Franzosen. Ein echter Prophet eben.

Picture
Interessant auch -- von meinen Schwiegereltern empfohlen -- die eher Bonhoeffer-kritische Biografie des Amerikaners Marsh. Hier geht es auch um Korruption im NS. Aber auch um unbekannte, weniger ruhmvolle Seiten dieses Heiligen, der als Evangelischer keiner ist. Aber kürzlich wurde ja auch diskutiert, dass Mutter Theresa, eine der bekanntesten neuen Heiligen und schon sprichwörtliche Ikone der Weltkultur, ob die -- nachdem viele ihrer Fehler bekannt wurden (sie konnte mit Geld nicht umgehen, ihre Schwestern und Patienten waren oft sehr schlecht versorgt) -- eine Heilige sein könne. Ja, kann sie. Wir alle Unperfekten können es. Ein Theologe könnte das jetzt erklären. ​Dabei ist es eigentlich ganz einfach. 

27.07.2018
Jens-Christian Rabe empfiehlt heute als besten Kommentar zur Özil-Debatte den Rap-Gesang von Eko Fresh.
"Als allererstes will ich klarstellen / Ich bin kein Nazi, aber / mich stören die Alibabas / mit ihrem Islam-Gelaber".
"Nazis wie ihr / mit 'nem Fass voller Bier / Was integrieren? / Ihr wollt uns assimilieren". 
​Sehenswert. Hörenswert.
27.07.2018
Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. 
Sehr kluges Buch, machte den Autor weltberühmt. Auf jeder Seite neue, anregende Gedanken. Aber es gibt auch Kritik von meiner Seite. Vielleicht ein anderes Mal mehr dazu. 

17.07.2018
Zur Lyrik: Stefan George (der Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg war Mitglied in seinem sog. Dichter-Kreis) wird 150:
www.sueddeutsche.de/kultur/-geburtstag-von-stefan-george-der-dichter-als-verbrecher-1.4050178

Er habe viele Gedichte aus dem berühmten Band des Symbolisten Charles Beaudelaire übersetzt: Fleurs du mal. Das sei das Grundbuch moderner Lyrik (Autor des SZ-Artikels: Jens Bisky.) 
Ohne George sei dann wieder Georg Heym undenkbar, Gottfried Benn, "selbst Brecht". Sein Dichter-Gegner hieß Rudolf Borchardt. Das Geburtstagskind George habe sich gesehen als "Verworfener", als "Verbrecher", der die Wahrheit über die bürgerliche Gesellschaft ausspricht. Er sei der prophetische Radikal-Kritiker gewesen der zu seinen Lebzeiten aufkommenden Massengesellschaft, der Großstädte, der Presse, der Zerstreuung, des Fortschritts, der Geschäftigkeit (S-Bahnen, Kinos, Jazz-Musik in Bars, die erste Verkehrsampel am Potsdamer Platz). Er habe "eine Heilung aller Gebrechen der verhassten Moderne in der Kunst versprochen", und zwar durch "ästhetischen Fundamentalismus", also elitäre, esoterische Ästhetik (er baute ein "geheimes Deutschland" mit seinen Jüngern auf). Diese Ästhetik, "ich wollte sie aus kühlem eisen / Und wie ein glatter fester streif. Doch war im Schacht auf allen gleisen / So kein Metall zum gusse reif."
Er habe die Kunstrichtungen des Naturalismus und Impressionismus vehement abgelehnt, sein Durchbruch habe aber ähnlich funktioniert wie der dieser Strömungen. Uns sei George sehr fremd, und es frage sich, "Muss man das heute noch lesen?" (Vergleiche antike Literatur.) Man solle nicht so sehr auf Enthüllungen warten zu "sexuellen Übergriffen" in seiner "Homo-Erotik" (vergleiche Platon, auch bei ihm wird von einer esoterischen Lehre gemutmaßt). Der wahre Skandal sei seine antibürgerliche Verrücktheit (aber doch verwandt mit Wandervogel und bündnischer Bewegung, finde ich), und die lohne es sich gerade heute, dass sie von einem "bürgerlichen Publikum" gelesen werde.

Leider ist der immer sehr lesenswerte Gustav Seibt, der direkt daneben über das Dichter-Handwerk des Stefan George eine sehr anschauliche Werkstatt-Führung anbietet ("zuweilen muss man sich Subjekt, Prädikat, Objekt zusammen suchen wie bei Horaz-Oden: schläfrig schaukelten wespen im mittagslied / Und ihm träufelten auf die gerötete stirn / Durch schwachen schutz der halme-schatten / Des mohnes blätter: breite tropfen blut"), leider ist der Artikel "Entdeckungen im George-Park" hinter der Bezahl-Schranke.

www.sueddeutsche.de/kultur/der-lyriker-stefan-george-entdeckungen-im-totgesagten-park-1.4050180?reduced=true

Gustav Seibt verweist auf die harmlosen Seiten des dunklen Dichters, auf die schiere Sprachfreude in folgendem George-Gedichtchen. Einleitung dafür ist für Seibt "die berühmteste Zeile Georges, die Robert Gernhardt unter die unbezwingbaren 'Lyrik-Hämmer' der deutschen Literatur zählte": "Komm in den totgesagten Park und schau", zum Beispiel das Lied des Zwergen:

Ganz kleine vögel singen
Ganz kleine blumen springen
Ihre Glocken klingen

Auf hellblauen heiden
Ganz kleine lämmer weiden
Ihr fliess ist weiss und seiden

Ganz kleine kinder neigen
Und drehen sich laut im reigen
Darf der zwerg sich zeigen?

Zum seelischen und sexuellen Missbrauch in der Jünger-Sekte Georges kam im Mai 2018 folgender Artikel, leider hinter der Bezahlschranke.
www.faz.net/aktuell/feuilleton/missbrauch-im-namen-stefan-georges-15586303.html
​
24.02.2018
Hab grad dummerweise nichts so richtig zum Lesen. Bleibt auch, wie so oft zwischen den Ferien, kaum Zeit. Nehme aber gerne Tipps entgegen. Durs Grünbein wär vielleicht was. Der "gebildetste deutsche Lyriker" (Ulrich Greiner laut wiki) sagt heute in der SZ: "Meine Frau und ich fiebern bei Lesungen immer ein bisschen miteinander mit. Da gibt es so ein banges Fragen: Was geht als Nächstes schief? Stürzt einer ab? Das sieht sie natürlich genau, weil sie selbst auch schreibt. Ich bin mehr auf die Poesie konzentriert und das Drama. Über die Lyrik wird ja manchmal abschätzig geredet. Aber um sich mal beim Alkohol zu bedienen:
Die Lyrik ist eher Hochprozentiges." 

08.10.2017
Am Lesen, mein geschätzter Kollege brachte es mir netterweise kürzlich:
Wolfgang Schorlau: Das München-Komplott. Denglers fünfter Fall. Hier geht es um das Oktober-Fest-Attentat 1980, den Rechtsextremismus und die Geheimdienste. 

--> Nachtrag 07.11.2017: ZDF-Verfilmung eines weiteren Schorlau-Krimis, nämlich dessen, der über die NSU-Morde handelt. Auch da ist die Kritik sich weitgehend einig: zwar interessant und durchaus bedenkenswert, aber leider zu viel Verschwörungs-Theorien beigemischt. Unsere Behörden, unsere Exekutive ist nicht so böse, es ist doch öfter Dummheit sowie Unbedarftheit und Nicht-Ernstnehmen, dass es irgendwo ein Problem geben könnte. 
www.swr.de/swr2/kultur-info/die-schuetzende-hand-zdf-wolfgang-schorlau/-/id=9597116/did=20577426/nid=9597116/12tabjv/index.html


In den Sommerferien endlich fertig gelesen:
Andreas Eschbach: Der Jesus-Deal. Siehe unten unter dem 22.05.2016.

Vor ein paar Tagen fertig gelesen:
Wolfgang Schorlau: Die letzte Flucht. Denglers sechster Fall. (2011 erschienen, 2015 im ZDF als Film ausgestrahlt. Von meinem geschätzten Kollegen mir empfohlen und ausgeliehen! Vielen Dank für diese Anregung. Gut zu lesen, gut gemacht, spannend, interessant. (Manchmal ein ganz wenig flach, vgl. auch hier drunter unter dem 16.2.2016 das Buch "Heimatjahre" von Felix Huby, das kommt mir ganz ähnlich vor. Eben Fernseh-tauglich, leichte Muse ein wenig. Muss ja nicht schlecht sein deswegen.) Es geht jedenfalls um die Pharmalobby und um Stuttgart21. Das Anliegen des Linken Schorlau ist berechtigt. Die Pharmaindutrie mache 40% ihres Umsatzes mit Marketing und nur 10% mit Forschung. Sie lebe sehr gut und greife die steuerlich finanzierte Forschung zu ihrem eigenen Profit ab. Gleichzeitig sei im Gesundheitswesen aber kein Geld da für Pflege. 
Der wiki-Artikel stellt aber zurecht fest, dass Schorlaus Erzählungen hinter dieser Ungerechtigkeit böse Absicht oder gar die heute eh schon grassierenden Verschwörungstheorien behaupten "statt den Fall mit sorglosen und versagenden Behörden zu erklären." Also Blödheit, nicht Absicht, Herr Schorlau! Trotzdem liest man das natürlich gern. Man muss halt aufpassen, dass man das nicht genau so glaubt. Ob er damit seinem Anliegen einer gerechteren Welt eher schadet? Naja, Herr Schorlau lebt jedenfalls davon und das ZDF bekommt gute Einschaltquoten. 



09.09.2017
Eric Metaxas: Wilberforce. Der Mann, der die Sklaverei abschaffte. In den Ferien mit großem Interesse gelesen. Hat neue Horizonte geöffnet. -- ​Sein anderes, neueres Buch siehe in der Rubrik rechts unter 22.08.2017.
​
07.09.2017
Das Thema "heutige Sprache" ist ja gerade bei Bibelübersetzungen immer wichtig, weil das Buch so alt ist. Im "Kulturmagazin" 03/17 für die "Metropolregion Rhein-Neckar" sagt der Speyer-Nibelungen-Autor 2018 Feridun Zaimoglu: "Ich habe so meine Probleme mit der heutigen Sprache. Ich habe den Eindruck, dass man sich entweder in akademischen Floskeln versucht oder aber das WG-Gelaber bemüht. Unsere Sprache ist auf Glanz gerieben, aber es bleibt alles verständlich. Es wird ein wuchtige Sprache und eine wuchtige Geschichte sein."

1. Sept. 2017.
Literatur-Blog einer ehemaligen Schülerin von mir. Macht mich stolz.
http://szebrabooks.blogspot.de/
​
In diesem Blog ist die Autorin "Krisi" mal meine Schülerin gewesen (beide nur kurz, dennoch: *stolz*):
https://wurmsuchtbuch.com/
​
Sie ist auch Preisträgerin verschiedentlich. Glückwunsch!
​
21.08.2017. Passend zu diesem Sommer, Thema Lebensfreude und Buntheit:

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud

in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
Schau an der schönen Gärten Zier,
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben.

2. Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,*
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide.

3. Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder.

4. Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen.

5. Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten.

6. Die unverdrossne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise.

7. Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt,
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte.

8. Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen.

9. Ach, denk ich, bist du hier so schön
und läßt du’s uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden;
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden!

10. Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muß es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdroßnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen?

11. O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
So wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen.

12. Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen.

13. Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
daß ich dir stetig blühe;
gib, daß der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe.

14. Mach in mir deinem Geiste Raum,
daß ich dir werd ein guter Baum,
und laß mich Wurzel treiben.
Verleihe, daß zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben.

15. Erwähle mich zum Paradeis
und laß mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen.

Paul Gerhardt, 1653, Zeit des 30-jähr. Krieges (nach wikipedia)

* Die "Tulipan", also die Tulpe war damals sehr hipp: 1634-1637, also mitten im Dreißigjährigen Krieg gab es in Amsterdam die Tulpenmanie. Die frisch aus dem Osmanischen Reich übernommene Blume entfachte eine Spekulationsblase, so dass eine einzelne Blumenzwiebel den Wert bekommen konnte eines ganzen Hauses, eines zehnfachen Handwerker-Jahres-Lohnes. (SZ vom 25.8.2017, Anke Sterneborg bespricht den neuen Film "Tulip Fever" (GB/USA) von Justin Chadwick mit Christoph Waltz, Alicia Vikander. Der Film überzeuge nur durch seine Ausstattung, die an flämische Maler erinnere. Ein Bote verspeise versehentlich eine sündhaft teure Blumenzwiebel!) 
24.06.2017
Schon unter dem 11.06.2016 berichtete ich, dass ich beim Geräte-Training als Hörbuch höre die Cicero-Trilogie von Robert Harris: Imperium -- Titan -- Diktator. Da bin ich immer noch dabei! Da sieht man, dass ich leider zu selten dazu komme! Wenn ich damit immer noch nicht durch bin. Ich hatte zum Beispiel sehr intensive Arbeitswochen (vor allem Korrekturen) vor den Pfingstferien und mich in den Pfingstferien um meine pflegebedürftigen Eltern gekümmert (nur vier Tage, viel zu wenig). Obwohl gerade im Stress das Training als Ausgleich wichtig wäre, schafft man es genau da nicht! Jedenfalls dauerte es über vier Wochen, bis ich mal wieder ins Trainigs-Studio ging und Robert Harris weiter hörte! Ich bin im dritten Band bei der letzten von sechs CDs, gelesen von Frank Arnold.

Eric Metaxas: Wilberforce, der Mann, der die Sklaverei abschaffte. Aus d. Engl. von Christian Rendel. Holzgerlingen: SCM Hänssler, 2. Aufl. 2013. 
Schon sein Bonhoeffer-Buch war in einem uns Europäern ganz ungewohnten, mitreißenden Stil geschrieben, handwerklich einfach oberste Qualität mit so vielen Extras. Das Bonhoeffer-Buch hat mich vor Jahren unheimlich begeistert. Ich hab dazu handschriftlich auch einen Text, den ich hier noch reinstellen will bei Gelegenheit. Zum Kampf gegen die Sklaverei und der Rolle der christlichen Mission dabei habe ich heute etwas geschrieben unter "Alltag-->Ausstellungen" (Luther-Ausstellung in Berlin). 


Picture
22.06.2017
Siegfried Kracauer hat ein Buch geschrieben namens "Ginster" (siehe den Eintrag unten vom 15.11.2016). Der Berliner Dichter Jan Wagner sei berühmt geworden mit einem Gedicht über die unscheinbare, aber schmackhafte Pflanze Giersch, schrieb gestern Lother Müller (SZ) über den "Repräsentaten der Geistesgegenwart" und neuen Georg-Büchner-Preisträger. Hier sieht man schön, was ein Dichter ist. Da es aus Urheberrechtsgründen nicht möglich ist, die Gedichte hier einzutippen, nur kleinste Kostproben aus o.g. Artikel. 
Also, der Dichter habe sein Giersch-Gedicht vorgelesen, da hätte das Publikum gelacht: Lauter sch-Laute!

hinter der Garage
beim knirschenden Kies

Aber im Verlauf des Gedichtes würden diese Zisch-Laute dann verschlungen vom wuchernden Giersch. "So hingebungsvoll wird selten ein Alltagsgewächs gefeiert, in dem viele eine unwiderstehlich sich ausbreitendes Unkraut sehen." Genau das macht nämlich ein Dichter. Irgendwie -- ich kenn mich bei den Sachen recht schlecht aus -- schreibt der Feuilletonist Müller auch, dass der Dichter das Ghetto, also Vorstädte wie Neukölln nicht allein dem "Punk" überlasse und dem "Hio-Hop", sondern auch sehr gut vertone mit:

ein firmament von glücksspielautomaten, 
die kleine nachtmusik der ambulanzen

Das ist auch eine sehr passende Musik, die die Pforzheimer Nordstadt beschreibt, wo ich wohne!
Das Giersch-Gedicht eröffne den Gedicht-Band "Regentonnen-Variationen". Mit ihm habe Wagner 2015 den Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen -- gegen lauter Prosa-Autoren. 

2 h später - Ich fand das Gedicht im Netz:
www.lyrikwelt.de/gedichte/wagnerjang5.htm


07.05.2017 Noch ist Osterzeit. Da wollte ich noch folgendes Gedicht veröffentlichen einer geschätzten Kollegin. Sie gab mir die freundliche Erlaubnis. (Dies war auch nur möglich, weil noch kein Verlag die Rechte daran erworben hat, im Gegensatz zu vielen anderen ihrer Texte!)

Karwoche
 
Nicht alles im Leben
ist österlich froh,
Vieles ist dunkel
und schmerzlich und wo
Freunde versagen
manchmal auch ich
scheint Ostern fern
und eigentlich
sollte doch alles
ganz anders sein!
Alles nur Trug?!
Und äußerer Schein?!
 
Das dachten auch damals
vor 2000 Jahren
die Jünger Jesu
die bei ihm waren.
Es hieß doch, Gott sei
so mächtig und nah!
Nun starb Er verlassen
auf Golgotha.
Man hörte nur einen
verzweifelten Schrei,
dann Totenstille –
aus und vorbei!
 
Auch heute und hier
gibt es viel Leid –
Morde und Gier,
Angst, Traurigkeit,
Missbrauch von Macht,
Krankheit, die quält,
nie endende Nacht,
Schmerz, ungezählt.
 
Doch einen Moment,
die Geschichte geht weiter - 
es blieb nicht bei Wunden,
Kreuz, Nägel, Eiter,
Leib, Salben, Leinen,
Grab, Nacht und Weinen.
 
Früh morgens,
es war der dritte Tag,
kamen Frauen zum Grab,
in dem keiner mehr lag!
Dabei war der Stein
vor dem Grab so schwer,
jetzt ist er weg
und das Grab ist leer.
Kann es denn sein,
dass ganz und gar
Unerhörtes geschah,
ja, ist es denn wahr?
Kann es denn sowas
überhaupt geben?
 
Ja, kann es. Ein Wunder.
Aus Tod wurde Leben.
 
Doch nun zurück zum Jetzt und Hier.
Steht das alles nur auf Papier?
Ist das pure Tradition
oder glaube ich es schon?
 
Schick ich mein Sehnen himmelwärts
oder bleibt zweifelnd leer mein Herz?
Kann ich an meinen Zweifeln zweifeln
ohne am Leiden zu verzweifeln?
 
Ich leg zur Seite meine Frage
und warte
bis zum dritten Tage.
 
© Anna Tomczyk
2. April 2012 ​

Was ich gerne läse:
21.04.2021
Ich las jetzt mehrmals, wie lesenswert Philip Roth sein soll. Nun sehe ich diese Rezension zweier Biografien.
​www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/autoren/im-wettstreit-zwei-neue-biographien-ueber-philip-roth-17302990.html

11.10.2020
Klaus Theweleit: vier Bände „Pocahontas“-Projekt, der letzte jetzt erschienen, rezensiert von Oliver Jungen in der FAZ. Ich hab nicht viel Ahnung, aber der Kolonialismus und "Eine kleine Geschichte von fast allem" (so charakterisiert Jungen das Werk), das ist mein Ding.
​www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/buchbesprechung-zu-theweleits-pocahontas-projekt-16958354.html
18.01.2020
Aras Ören: Berliner Trilogie. Drei Poeme. Aus dem Türkischen von H. Achmed Schmiede et al. Berlin: Verbrecher-Verlag, 2019. Felix Stephan rezensiert heute in der SZ dieses Werk. Er hat ein Interview geführt. "Die möglicherweise kürzeste Flüchtlingsgeschichte der Literaturgeschichte": "Wollte er alles erzählen, was er sah / es würde in kein Buch passen / aber eines Abends war Kemal in Berlin". Es geht um Erdogan, um das Osmanische Reich, darum, dass die Türkei einen großen Identitätsverlust an die Europäer erlitten habe.
​https://www.sueddeutsche.de/kultur/aras-oeren-tuerkei-berliner-trilogie-1.4760592

25.04.2019
Unten unter dem 14. des Monats besprach ich das jetzt auch auf Deutsch erschienene Buch "Lake Success" von Gary Shteyngart. Beim Recherchieren stieß auch auf die Gattung Pop-Literatur, zu der auch das 24 Jahre alte "Faserland" hier direkt drunter zu gehören scheint. Die Autoren seien geprägt von The Great Gatsby von F. Scott Fitzgerald von 1925 sowie von Joseph Roth. Und dann berichtet heute die SZ über das neue Buch "White" des Spaßvogels und Provokateurs Bret Easton Ellis. Er ist meiner Erkenntnis nach --nach Lektüre des Interview-Berichtes von Peter Richter, der in seiner Wohnung in L.A. war-- der arbiter elegantorum (siehe die Cena Trimalchionis des Petron) der Trump-Ära.
Ein paar köstliche Zitate über dieses so tief gespaltene Land, dessen linker Mainstream immer mehr in die Krise gerät. Wie unten am 23.04. besprochen, bekämpft auch Bret Easton Ellis den Moralismus der Linksliberalen, die politische Korrektheit, das Gutmenschentum. Er verteidige "die Ästhetik vor der Ethik, das gut Gemachte vor dem gut Gemeinten". Er kritisiert ebenso die heutige Haltung, "sich ständig als traumatisiertes Opfer zu geben". Dass der schwarze Rapper Kanye West ein Panegyrikon auf Trump anstimmte (Lobgesang), finde der bekennende homosexuelle Ellis, wie die Boulevardzeitung New York Post begeistert aus dem neuen Buch zitiere, "ein gelungenes pop-kulturelles Manöver". Auf Twitter werde Ellis dafür plötzlich auch von Rechtsradikalen gefeiert. Er stehe also als Schriftsteller "on both sides of the aisle", sehe sich selber "genau in der Mitte" der "bipolaren Kultur der USA". Die Washington Post habe so köstlich geschrieben, das "Angryariat", "also die Klasse der Empörungsbewussten", habe "viel zu beißen" an dem neuen Buch Weiß.
Eigentlich hätte er es ja Weißer alter Mann nennen wollen. Auch darüber befindet der Ästhet, dass er diese Debatte irgendwie nicht schlecht finde, aber sie satt habe. Er macht sich ohne Angst vor Tabus lustig über die politisch Korrekten. Me-Too, so wird debattiert, fördere eine Social Justice mit jakobinischen Exzessen.
Ist er nun rechts oder links? Wohl nichts von Beidem. Ich halte dies für gar nicht so falsch. Die großen Fragen im Moment der Wohnungsnot, der desolaten öffentlichen Daseinsvorsorge (zum Beispiel unsere Sicherheitsbehörden oder Stand der Digitalisierung), der sozialen Spaltung haben die Linksliberalen nicht gelöst. Daher Trump. Gelöst werden diese Fragen meiner Einsicht nach nicht mehr mit Ideologie, sondern mit Pragmatik, als mit gut Gemachtem, nicht mehr mit gut Gemeintem. Das entspricht genau dem, wo ich mich sehe. Noch ein herrliches Zitat dieses Künstlers: Nach seinem Durchbruch vor Jahrzehnten, vor allem mit American Psycho, ging es ihm so: "Das erste Jahr Ruhm ist wundervoll. Und dann verbringt man den Rest des Lebens damit zu versuchen, nicht beleidigt zu sein." Allerdings schreibt wiki, dass seine Bücher dermaßen unanständig sind, dass sie sogar jahrelang auf dem Index standen, und das will was heißen.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/bret-easton-ellis-white-weiss-usa-1.4421224?reduced=true

https://www.br.de/nachrichten/kultur/bret-easton-ellis-weiss-rezension,ROSAaI8

23.04.2019
Hauke Goos meint, das vor fast 25 Jahren erschienene "Faserland" von Christian Kracht habe die deutsche Literatur verwandelt. (Artikel leider hinter der Bezahl-Schranke.) Es ist anscheinend (wiki) eine Art Gastmahl des Trimalchio der 90er Jahre, ein Memento mori mit Markenprodukten.

www.spiegel.de/plus/faserland-von-christian-kracht-spiel-mit-der-hoffnung-a-f27c38aa-197b-4a6c-a868-baaa928bd4a9

23.04.2019
Ulrich Rüdenauer bespricht heute in der SZ den neu aufgelegten Roman des bereits 1972 gestorbenen palästinensischen Polit-Aktivisten Ghassan Kanafani: Rückkehr nach Haifa. Frappierend an dem "schmalen Roman" sei, wie er auch das Leid der jüdischen Gegenseite aufzeige, aber eine Versöhnung schon damals für unmöglich hielt. 

23.04.2019
Jens-Christian Rabe schreibt heute in der SZ über den "Schaukampf der Weltanschauungen" am Karfreitag-Abend in Toronto: Slavoj Zizek vertrat den Marxismus, Jordan Peterson den liberalen Individualismus, den Konservatismus, den Kapitalismus. Beide seien gegen den moralischen linken Identitäts-Mainstream. (Auf youtube zu sehen, sind aber drei Stunden.) Der Journalist verweist dabei auf den letztjährigen Weltbestseller: J. Peterson: 12 Rules for Life. Darin gehe es darum, dass man aufhöre, die Schuld in den Verhältnissen zu suchen, sondern die Sache selber in die Hand nehmen solle. (Heut morgen sah ich beim Einkaufen dazu passend einen legeren Zeitgenossen mit dem T-Shirt-Aufdruck: "Ich höre immer nur Mimimimimi".) Peterson halte den Kapitalismus auch nur für "die beste unter den schlechten Wirtschaftsformen. Das erinnert mich an meine Privat-Theorie: Der Kapitalismus ist nach meiner laienhaften Vermutung nicht besser als der Marxismus. Er hat aber als unbeabsichtigtes Nebenprodukt die allgegenwärtig grassierende Korruption besser zurück gedrängt als der Marxismus. Dessen Kader haben alles untereinander ausgemacht, den Nachwuchs, die Preise, die Wahrheit. 

www.sueddeutsche.de/kultur/philosophie-iek-peterson-toronto-auftritt-1.4417325
​
18.04.2019
Georges Duby:
Le temps des cathédrales. L'art et la société (980–1420), Gallimard, Paris 1976.
  • Die Zeit der Kathedralen. Kunst und Gesellschaft 980–1420. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 2002
Nach dem Brand der Pariser Kathedrale Unserer lieben Frau erinnerte ich mich an dieses Buch aus meinen Studienzeiten. Auf wikipedia fand ich den Autor der Annales-Schule. Mein Freund und Studienkollege Dr. Steffen Seischab schrieb über ihn eine Monografie. 
​
14.04.2019
Gary Shteyngart: Willkommen in Lake success (Lake success auf englisch. Heute in der SZ besprochen.) Der erste große Roman über die Trump-Ära, sagt Christian Zaschke. Der amerikanische Schriftsteller, wohnhaft in Manhattan, ein Stadt-Neurotiker und Komiker wie Woody Allen. Russischer Einwanderer. Kann von der Wohnung zur Arbeit als Literatur-Professor an der Columbia Universität zu Fuß gehen. Besitzt ein Landhaus zwei Stunden nördlich von New York. Uhrensammler. Mit seinem Whiskey vielleicht ein Gegenstück zu der New Yorker Professorin Judith Butler?
​https://www.sueddeutsche.de/kultur/gary-shteyngart-1.4408307?reduced=true

Nachtrag 29.04.2019
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/belletristik/gary-shteyngarts-neuer-roman-willkommen-in-lake-success-16146235.html

29.01.2019
​Frank Bösch: Zeitenwende 1979. Als die Welt von heute begann. München: C. H. Beck, 2019. Franziska Augstein lobt gestern in der SZ dieses Buch über Jimmy Carter, Helmut Schmidt, Leonid I. Breschnew, Papst Johannes Paul II., Margaret Thatcher, Ruholla Chomeini. Alle haben 1979 weltgeschichtliche Ereignisse angestoßen. Z.B. die Islamische Revolution in Teheran, seit der das Kopftuch bei Musliminnen wieder häufiger wurde. 
www.sueddeutsche.de/politik/geschichte-thatcher-khomeini-afghanistan-helmut-schmidt-1.4304778 
​
22.01.2019
Hörte im Radio gestern beim Autofahren eine sympathische Rezension über dieses Buch: Helmut Höge: Die lustige Tierwelt und ihre ernste Erforschung. Frankfurt a.M.: Westend Verlag, 2019.
www.deutschlandfunk.de/helmut-hoege-die-lustige-tierwelt-und-ihre-ernste.700.de.html?dram:article_id=438946
Picture
01.11.2018
Aus tagesschau.de von heute: Kondolenzschreiben für den chinesischen Wuxia-Romanautor Louis Cha Leung-yung hängen in Hongkong an einer Wand. Louis Cha starb am 30. Oktober 2018 nach längerer Krankheit. Er war auch unter seinem Pseudonym Jin Yong bekannt und war der beliebteste chinesische Schriftsteller der Welt im 20. Jahrhundert. | Bildquelle: ALEX HOFFORD/EPA-EFE/REX/Shutter

09.10.2018
Jan Kammann: Ein deutsches Klassenzimmer. 30 Schüler, 22 Nationen, 14 Länder und ein Lehrer auf Weltreise. München: Malik-Verlag, 2018. 
Monika Maier-Albang bespricht heute dieses Buch in der SZ, wo der Autor, ein Lehrer aus Hamburg in die Länder seiner Schüler reist!
​
27.07.2018
Gestern war (laut Geo Epoche auf facebook) der Geburtstag von Aldous Huxley. Seine Schöne Neue Welt aus den 30er Jahren würde ich auch gerne lesen, ebenso 1984 aus dem Jahr 1948 von George Orwell. Beim googeln lernte ich auch, dass man solche Bücher Dystopien nennt (Schlechte Welt), das Gegenteil von Utopien (Gute, leider nicht vorhandene Welt). Platons Staat ist eine Utopie (ein Luftschloss, in den Vögeln des Aristophanes parodiert), der von Thomas Morus auch, Ciceros Staat ist eine real existierende Welt, die römische. Die Tribute von Panem, las ich, von Suzanne Collins, sind auch eine Dystopie. Überhaupt seien Dystopien sehr im Kommen in Rollen- und Computerspielen sowie in der Verschwörungstheorien-Szene. 

13.02.2018
Michel Foucault: Überwachen und Strafen, 1975.
Derselbe: Sexualität und Wahrheit. Vier Bände.
I. Der Wille zum Wissen, 1976.
II. Der Gebrauch der Lüste, 1984.
III. Die Sorge um sich, 1984.
IV. Die Geständnisse des Fleisches, Les aveux de la chair, nach dem Tod des Forschers 1984 jetzt erst erschienen.
Fazit: Die Franzosen kennen sich halt aus mit den Kirchenvätern. Foucault baut auf Athenagoras, Clemens von Alexandrien, Augustinus von Hippo. Er findet heraus, dass es gar nicht stimmt, was man immer denkt: Antike Heiden freizügig, Kirche dann tabuisiert und verdrängt die Sexualität. Vielmehr unterscheide sich heidnische Ethik anfangs kaum von der Ethik der Kirche, Beispiel Ideal der Askese. Lust hätten die Kirchenväter keinesfalls verteufelt, sondern ganz offen beschrieben (kam jetzt in mehreren Rezensionen zu obigem vierten Band). Mit der Ehe hätten sie aber die Lust zu ordnen versucht. Meine Frage: Was hier den Kirchenvätern zugeschrieben wird, Herr Foucault, ist das nicht bereits im Neuen Testament zu finden bei den Apostel-Briefen? Und diese Ethik, folgt sie nicht der jüdischen Ethik? Euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes? Die Leib-Freundlichkeit des Alten Testaments? Irgendwo steht das alles hier schon mal. Der Leib als Quelle der (Selbst-)Erkenntnis. "Adam erkannte seine Frau." Diese Selbstprüfung jedes Subjektes führte in der abendländischen Geschichte laut Foucault zur Selbstemanzipation, Selbstverwirklichung. Das Werk entstand ja im Zeitalter der Studentenrevolte, der sexuellen Befreiung, der Ausrufung neuer paradiesischer Zustände nach dem Verlust des Paradieses im Alten Testament.
Joseph Hanimann schreibt darüber in der SZ heute, dass erst dieser vierte Band deutlich mache, was das Wort Wahrheit hier solle. Foucault sieht die Wahrheitssuche verknüpft mit dem Leib und der Sexualität. Wer hätte das gedacht? Dieser"Ansatz" sei "unbestritten" "originell".

05.09.2017.
Die liberale Professorin und Altphilologin in Chicago, Aristoteles-Befürworterin Martha Nussbaum, die läse ich gerne, die die noch liberalere Guru-Professorin und Gender-Forscherin Judith Butler in New York kritisiert.
​
Picture
04.09.2017. Die Habilitation meiner klugen Schwester aus Berlin ist erschienen. Wie man hier links sieht, ein dickes Werk. Ich hab schon reingelesen und bin begeistert. Außerdem empfiehlt sie, nachdem man sich in ihrem Werk über das 19. Jahrhundert schlau gemacht hat, danach zum 18. Jahrhundert die Werke von Frau Professorin Barbara Stollberg-Rilinger: Maria Theresia, die Kaiserin in ihrer Zeit, sowie die bahnbrechenden Werke Rituale von 2013, und Des Kaisers alte Kleider von 2008. Siehe auch die immer wertvolle Perlentaucher-Seite:
https://www.perlentaucher.de/autor/barbara-stollberg-rilinger.html   

Picture
Neue Form der Erbauungsliteratur

25.08.2017. Michael Roes: Zeithain. Roman. Frankfurt am Main: Schöffling & Co, 2017. Der glaubensstrenge, pietistische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. erzieht seinen kunstsinnigen Kronprinzen Friedrich (später Friedrich der Große, der alte Fritz) mit Prügel und größter Strenge. Jeder, der sich mit preußischer Geschichte beschäftigt, stößt auf diesen epischen Vater-Sohn-Konflikt. Der Sohn will mit seinem Freund Katte fliehen. Katte wird vor den Augen des Sohnes hingerichtet. Autor Roes, so rezensiert heute Jörg Magenau in der SZ, macht daraus eine homosexuelle Legende, "einen großen Mythos der schwulen Traditionsbildung". Interessant erscheinen drei Dinge: 
1. Nach der Hexenforschung und anderen Lehrstühlen, die ich in der Geschichts- und Sozialwissenschaft erlebt habe die Jahrzehnte -- es ging über Minderheitenforschung, Frauen, nun: Gender -- steht uns schon länger wohl die Historisierung der Genderforschung bevor. So würde ich als Laie es nennen. Bzw. die Popularisierung solcher schon lang existierender Richtungen. Ich kenne es auch aus den klassischen Sprachen, soweit die Texte nicht ad usum Delphini gekürzt waren. Homosexualität ist im sozusagen heidnischen Umfeld der Antike Normalität, Homers Achill, Catull selber. Aber auch die christlich-abendländische Kultur, die folgte, enthält viele Hinweise, zum Beispiel der sodomitische Templer-Skandal im Frankreich des Hochmittelalters, das Leben so großer Renaissance-Künstler wie Leonardo da Vincis oder Michelangelos. In der Neuzeit dürfte es nicht schwer sein, an den frivolen Fürstenhöfen der Barockzeit für eine Doktorarbeit Stoff zu finden über männliche Mätressen. (Im Buch "Wilberforce" von Metaxas, das ich grad lese, wird diese Verdorbenheit der vor-revolutionären Welt, dieser sehr grausame Umgang mit Armen und Sklaven, farbig thematisiert.) Die große Frage ist nur -- was ist "verdorben"? Ich will hier öffentlich nicht moralisch werten. Offener Umgang mit Sexualität kann weniger verdorben sein und durch seine soziale Kontrolle die Moral besser heben als die Vertuschung oder Verfolgung von Andersartigkeit. Interessant wäre hier auch die Geschichte der Prügelstrafe.
2. Denn darum geht es anscheinend im Preußen-Buch von Roes. Er schreibe, so der Rezensent Magenau, eine Geschichte des Leiblichen. Das passt nicht nur in unsere heutige Selfie-Zeit, wo alle Jungen sehr gut aussehen, ihren Körper auch zum Beispiel per Tätowierung gestalten (eine neue Renaissance, einer Zeit des Körperlichen?), sondern lässt auch theologisch aufhorchen: Obwohl man ja landläufg annehme, Bücher hätten mehr mit dem Geist zu tun als dem Körper, beweise Roes hier, dass es auch anders gehe. Dies kennen wir Christen ja von der Bibel. Sie ist eben nicht leibfeindlich, wie das jahrundertealte Voruteil seit Augustinus sagt. Sie hält in der jüdischen Tradition den Körper für genauso heilig wie den Geist. Aus der Michael Hahn'schen Gemeinschaft zum Beispiel ist der Begriff bekannt der Geist-Leiblichkeit.
3. Die Franckeschen Anstalten in Glaucha bei Halle, eine der pietistischen Parade-Institutionen, kommen aber hierbei sehr schlecht weg. Magenau:  sie standen "wohl zu Unrecht im Ruf des Reformischen"! (Die alte Debatte also, wie aufklärerisch war der Pietismus?) Hier empfing Kattes Leib Narben, Essensentzug, Dunkelhaft. 
Abschließend bleibt zu sagen, dass Magenau den Roman in der Gefahr sieht, in "schwule Erbauungsliteratur abzukippen". Das ist aber lustig: Denn grade die Preußische und pietistische Geschichte ist voller Erbauungsliteratur! Roes baut eine Rahmenhandlung ein, die in der Homosexuellen-Szene des heutigen Berlin spielt. Und da finden sich auch fantastische Elemente des Schauerromans. (Bei Metaxas lernte ich grad, dass der Schauerroman des englischen 18. Jh. übersetzt Gothic Novel heißt, dass also die momentane Kulturrichtung darauf zurück geht.) Mit dieser fantastischen Gothic-Rahmenhandlung sei das 800-Seiten-Buch aber überfordert. Zudem lasse der Autor seinen Protagonisten Stanhope sagen, sein Buch sei "eine Annäherung, eher eine Preußenfantasie als eine Recherche." So sieht es auch der Rezensent, es sei eher Mythenbildung als Fakten-Auffrischung. Aber die Annäherung ans Thema an sich nennt er lobenswert.  Das sehe ich auch so. Allerdings ist die Hauptthese zwiespältig, dennoch sehr interessant und fruchtbar. (Siehe auch den Eintrag unten unter 16.02.2016, Preußen und Pietismus bei Clark.)


22.08.2017. Eric Metaxas: Luther. The Man Who Rediscovered God and Changed the World. New York: Viking, 2017 (erscheint am 3.Okt.)

Besprechung auf der Internet-Seite unten (Dank an meinen Vetter, der mich darauf gebracht hat):

From #1 New York Times bestselling author Eric Metaxas comes a brilliant and inspiring biography of the most influential man in modern history, MARTIN LUTHER, in time for the 500th anniversary of the Protestant Reformation.
Historically, Luther is often painted as a rebel. The two iconic moments ... 

http://www.socratesinthecity.com/
http://ericmetaxas.com/


21.08.2017. Virginie Despentes: Das Leben des Vernon Subutex. Dt. v. Claudia Steinitz. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2017. Erster von drei Teilen. Pariser Schallplattenhändler wird durch Napster platt gemacht, die Musik-Internet-Plattform. Gesellschaftlicher Abstieg, er nächtigt bei Freunden aus allen Schichten, deren Lebensumstände einfühlsam und ohne Urteil atemberaubend geschildert würden. In der SZ vom 19.08. schreibt Alex Rühle, Despentes schildere "unsere ganze Zeit in kondensierter Form", sie werde mit ihren drei Bänden mit Balzacs 91 Bänden verglichen. (Der habe ja "eine Naturgeschichte unserer Gesellschaft zeichnen" wollen, "dem innersten Wesen ihres Jahrhunderts abgelauscht".) Die Autorin sagt zu diesem Vergleich nur, sie habe die Lebenswirklichkeit aus facebook abgeschrieben. Frankreich habe "eine Art kollektiver Depression". Charlie-Hebdo-Attentat, der Aufstieg Marine Le Pens, Gentrifizierung und astronomische Mieten, und was alle dazu auf facebook meinten. Alle seien empört und wütend, Frankreich in der Krise.  Aber sie schreibe kein "Oberjammergau" wie Houellebecq mit seiner "Unterwerfung", sondern sie sei seine "einfühlsame Schwester". Man habe sie verunglimpft, sagt Despentes dem Rezensenten, als "pornografische Krawallfeministin, jetzt als Frankreichs Krisenorakel". Aber in Wirklichkeit gehe es um "die eigenständige Kraft von literarischen Texten" (aus facebook abgeschrieben). "Ich wollte einen kleinen, schmutzigen Abstiegsroman schreiben. Was soll einem arbeitslosen Plattenverkäufer schon passieren. Als ich es dann aneinandergehängt habe, hatte ich ein Monster im Rechner. Weit über 1000 Seiten." Sie wollte kürzen, ihr Lektor aber habe gesagt, nein, "auf keinen Fall", daraus wird eine Trilogie.

06.07.2017. Christoph Hein: Glückskind mit Vater. Dieser Roman "spanne den erzählerischen Bogen von der NS-Zeit bis in die Gegenwart." Dem 73-jährigen Autor aus Sachsen-Anhalt sei damit "ein geschichtsträchtiges Lehrstück gelungen". Im November erhalte er dafür nun den Grimmelshausen-Literaturpreis von 10.000 Euro. (SZ heute via DPA.)
​
22.05.2017. Thomas Galli: Die Gefährlichkeit des Täters. Berlin: Das Neue Berlin, 2017. In der SZ bespricht und empfiehlt heute der Theologe, Kriminologe und ehemalige Gefängnis-Seelsorger Martin Hagenmaier dieses Buch eines ehemaligen Gefängnis-Direktors. Er war allerdings nur 2013-16 JVA-Leiter, was ich nicht lange finde. Auch kritisiert Hagenmaier, dass er von Galli nach diesem anschaulichen, zutreffenden, erschütternden Buch (der Artikel heißt "Die Erbärmlichen") neben Worten auch Taten erwarte. Denn seine radikalen Vorschläge zur Änderung des Strafvollzuges müssten unbedingt umgesetzt werden.
Interessant für mich ist es, weil natürlich Krankenhäuser, Kasernen und Schulen vergleichbar sind in manchen Dingen mit Gefängnissen. Ebenso Klöster, Fabriken etc., wie ja jeder Hobby-Soziologe weiß.
Schlecht weg kommen die Beamten-Hierarchie und ganz schlecht die Justiz-Ministerien. (Vgl. Schulwesen.) Man kann niemandem raten, im Strafvollzug zu arbeiten! (Aber die brauchen gerade ja unbestechliche und gerechte Leute.) Die Beamten halten nicht zusammen, sondern jeder arbeitet gegen jeden! 
Noch interessanter wird es aber, wenn es -- lassen Sie mich es so nennen -- um in die Jahre gekommene Alt-68er-Reformen des Strafvollzuges geht: "Daher schlägt Galli letztlich überzeugend vor, den ganzen Zauber von gutachterlicher Einschätzung [siehe auch der aktuelle NSU-Fall, Angeklagte Zschäpe und Gutachter Joachim Bauer -- Pralinen-Affäre!, Anm. d. Autors], Umschaltung vom Schuld- auf das Gefährlichkeitsprinzip und endloser therapeutischer Anstrengungen zu entsorgen." Hier hört man einen neuen Ton, den wir auch von der leider nicht mehr lebenden Berliner Jugend-Richterin Kirsten Heisig hörten, von Leuten wie Thilo Sarrazin (der es ja dann übertrieb) oder dem ehemaligen Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky und letztens öfter von AfD-Seite.
Galli fordert, gemeinnützige Arbeit statt Freiheits-Entzug und Therapie. Rezensent Hagenmaier, eben ein Kenner der Materie und Praktiker, wirft Galli vor, er habe den Täter-Opfer-Ausgleich TOA in seinem Buch völlig vergessen, den es schon länger gebe, der sehr gut sei, aber leider viel zu selten angewandt werde. Wer nicht gefährlich sei, solle hart arbeiten für alle! Plus weitere Maßnahmen, die zwar auch im Gefängnis angewendet würden, aber nur in Freiheit fruchten können! Wer aber gefährlich "scheine" -- mehr könnten Gutachter eh nicht feststellen als den äußeren Schein, der müsse auf einer Insel hart arbeiten oder in einem großen Gefangenen-Dorf. Die momentanen Gefängnisse, so schreibe Galli anhand von neun schockierenden Fällen, auch Frauen, auch Gefängnis-Aufseher sind dabei, seien ungeeignet.
 


25.03.2017. Empfehlung meines Freundes aus Hannover: Carsten Stormer: Im Schatten des Krieges. Ab 6. März im Buchhandel.
„Ein tolles, wahres Buch, direkt und traurig und gar nicht tröstlich. Das Buch ist großer literarischer Journalismus.“ Georg Diez (Der Spiegel)
„Wir sind wenige. Kaum noch ein westlicher Journalist hat sich in den letzten Jahren mehr in Syriens Rebellengebiete hineingewagt. Aber das ist der Preis, um überhaupt akkurat recherchieren, berichten zu können. Wir sind wenige, und Carsten Stormer ist einer davon. Dass er ein hervorragender Erzähler ist, kommt noch hinzu. Vor allem aber: Erzählt er, was geschehen ist. In einer Härte, die manchmal nicht leicht sein mag. Aber so ist sie, die Wirklichkeit.“ Christoph Reuter (Der Spiegel)
„Was zieht einen deutschen Journalisten immer wieder in den Krieg? Wer dieses Buch liest, wird nicht nur den Konflikt in Syrien besser begreifen. Sondern auch verstehen, warum Carsten Stormer seit Jahren immer wieder als Reporter an die Front reist. „Die Schatten des Morgenlandes" gräbt sehr viel tiefer als es das alltägliche Medienrauschen tut. Und der Autor ist schonungslos ehrlich mit sich selbst. Super Buch.“ Amrai Coen (Die Zeit)
"Selten hat ein Reporter ein ehrlicheres Buch geschrieben." Wolfgang Bauer (Die Zeit)
"Wer jahrelang über die Schlachtfelder Syriens und des Irak zieht und trotzdem verletzlich bleibt, trotzdem mit heißem Herzen eintritt für eine offenere, gerechtere Welt - der ist ein großartiger Journalist und ein noch großartigerer Mensch." Ariel Hauptmeier (CORREC!V)
„Stormer gibt uns einen sehr persönlichen und detaillierten Blick hinter die Kulissen seines Berufes als Journalist und gleichzeitig auf die zahlreichen Facetten der Kriege in Syrien und Irak, denen er Gesichter und Menschlichkeit verleiht, die uns nicht unberührt lassen können.“ Nicolas Hénin (Autor des Buches: Der IS und die Fehler des Westens: Warum wir den Terror militärisch nicht besiegen können)
Was ich gerade lese:
22.05.2017 Mein geschätzter Kollege lieh mir aus mit der Empfehlung, es sei extrem spannend:
Andreas Eschbach: Der Jesus-Deal. Köln: Bastei-Lübbe, 2016, 1.Aufl. 2014. Es ist die Fortsetzung des Romans Das Jesus-Video von 1998, kann aber unabhängig davon gelesen werden, wie mein Kollege versicherte, und sei auch spannender als dieser. Ja, er ist spannend. Interessant auch die Idee mit der Historizität Jesu. Denn das berührt ja unseren Glauben. Bin aber erst bei der Hälfte. Dennoch verletzt der Roman das aristotelische Prinzip, dass Kunst "Nachahmung der Wirklichkeit" sei, denn eine Zeitmaschine gibt es nicht. Auch wenn der Autor kunstvoll versucht, durch Zitate aus existierenden wissenschaftlichen Abhandlungen seinem Buch mehr Plausibilität zu geben. Es ist eben doch Science Fiction. Und in dem Genre gewann Eschbach ja laut wiki viele Preise. 
​ 
07.03.2017 Ich lese grade "1913 -- der Sommer des Jahrhunderts" von Florian Illies. Das kam ja 2013 raus und wurde jetzt anscheinend grad neu aufgelegt. Meine Schwiegermutter schenkte es mir zu Weihnachten! Ich hörte oft davon, jetzt endlich sehe ich, warum alle so begeistert davon sind: Es ist wirklich faszinierend konstruiert, wie in diesem Jahr Monat für Monat und oft wenige Straßen voneinander entfernt in Wien, Paris, Berlin oder in Riva am Gardasee Leute sich trafen und Ideen entwickelten, die die Welt völlig veränderten. Die Mann-Brüder, Hitler, Stalin, Maler wie Kokoschka, Frauen wie Else Lasker-Schüler. Illies charakterisiert die Personen pointiert und lustig mit ihren Eigenarten und mit ihrer Genialität. Kunstgeschichte, also der Blaue Reiter, die Brücke, sind sein Schwerpunkt. Sehr lesenswert. 


Was ich gern läse:
02.06.2017
Nachtrag zum Winter 16/17: Nachdem ein Freund mir letztes Jahr Sabine Bode: Kriegsenkel empfahl, ...
https://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft/Kriegsenkel/5760
...
als ich im Sommer '16 dabei war, mich mit meiner eigenen Familiengeschichte zu beschäftigen, fand ich auf dem Geschenktisch meiner Schwiegereltern folgende interessante Bücher dazu (überhaupt sind Besuche bei meinen Schwiegereltern allein schon in kultureller, aber auch geistlicher Hinsicht immer sehr anregend):
Schweigen tut weh: eine großbürgerliche Grünen-Politikerin arbeitet mutig und heilsam die Verbrechens-Geschichte ihrer Familie auf. 
​Außerdem: Schatten der Täter. Dieselbe Autorin bringt hier ähnliche Schicksale wie ihr eigenes, wohl aus ihrer Selbsthilfegruppe. Beeindruckend. Läse ich gerne! Einfach unten auf die Titelseiten drauf drücken!
Und dann zwei sehr interessant klingende Titel aus der geistlichen Literatur. Einmal ein mir wohlbekanntes Thema, schwierige Bibelstellen, behandelt aus einer theologischen Richtung, die ich kaum kenne. Sicher sehr erhellend und spannend, eine andere Herangehensweise und viele tiefe, völlig neue Einsichten, die hier schlummern.
Dann Reinhold Ruthes Autobiografie, der Psychologie und Glaube seit Jahrzehnten zusammen gebracht hat als einer der ersten bei den Evangelischen oder Evangelikalen, zu nennen nur die Organisationen ICL, BTS und neuerdings das riesige Team F.
An letzterem Buch interessierte mich, wie er die Familie meines Großonkels Johannes Busch kurz nach dem Krieg als Praktikant erlebte. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass er als Nazi-Verfolgter direkt nach dem Krieg mit Frau und seinen zahlreichen Kindern in einer riesigen Nazi-Villa wohnen durfte. Und auch Vieles aus dem Familienleben (zum Beispiel demokratische Abstimmungen) kannte ich aus meiner eigenen Familientradition nicht. Meine Mutter kann sehr gut erzählen und hat uns da geprägt. Sie hat auch eine umfangreiche Briefsammlung dieses Ehepaares aus genau dieser Zeit in der Familie per Manuskript herum gereicht. 
01.01.2017 Meine Mutter lieh mir Dorthea und Wolfgang Koch: Konrad Adenauer -- Der Katholik und sein Europa. 2. Aufl. Kißlegg: fe, 2015. Meine Mutter hat es von ihrer Schwester, meiner feinen, belesenen Tante Hildegard in Hülben bekommen. Beide Frauen haben die Adenauer-Ära als Richterstöchter miterlebt. Ihr Vater sagte aber wohl immer, er wähle lieber FDP, Adenauer sei ihm zu katholisch. Da denken die Töchter heute vielleicht anders. Hier eine Leseprobe. Für mich als Pforzheimer interessant rechts oben die Passage über Coventry und den dortigen Feuersturm, der ja der deutsche Vorläufer des britischen Feuersturmes auf Pforzheim am 23. Februar 1945 ist. Auch das erwähnte Nagelkreuz gibt es in Pforzheim und spielt meiner Einsicht eine sehr wichtige und zukunftweisende Rolle, man denke nur an Aleppo. 
Intressant auch rechts unten die Vorahnung Adenauers, dass Mitte der 60er Jahre eine Epoche zuende geht. Mein Freiburger Prof. Ulrich Herbert hat darüber viel geforscht und erkannt bzw. postuliert, dass es das Ende einer bürgerlichen Epoche war, die erst um 1830 begonnen hatte! Adenauer aber stellt an dieser Stelle (und auch in den Seiten vorher) den kommenden Epochenwandel so dar -- hier am Beispiel der modernen Kunst durchdekliniert, es ließe sich aber auf fast alle Lebensbereiche übertragen --, als Niedergang des Christlichen Abendlandes, den es aufzuhalten gelte. Das halte ich für eine "Große Erzählung", gut für Wählerstimmen, wichtig für politischen Zusammenhalt und demokratische Mobilisierung, aber gerade heute in sog. PEGIDA-Zeiten genauer zu analysieren und neu zu durchdenken!
Picture
15.11.2016 Margarete Fuchs: Der bewegende Blick. Literarische Blick-Inszenierungen der Moderne. (Reihe Litterae, hg. v. G. Neumann, G.Schnitzler, M. Berggruen., Bd. 209.) Freiburg: Rombach, 2014. Dissertation meiner bis auf den Tag gleichaltrigen Base. Beeindruckend, unerreichbar diese Belesenheit und Interpretations-Kraft. Es geht darin um folgende Werke: 
Heinrich Mann: Pippo Spano --> Der Blick des Dritten
Hugo von Hoffmannsthal: Elektra. Eine Tragödie --> Die Macht des Blicks
Siegfried Kracauer: Ginster. Von ihm selbst geschrieben--> Blick und Körper
Walter Benjamin: Berliner Kindheit um 1900 --> Vervielfätigung des Blicks
   dabei: Erfindung der Perspektive
Aby Warburg: Mnemosyne-Atlas, letztes Kapitel --> transsubjektiver Blick

Das Werk trägt als Motto ein schönes Gedicht von Else Lasker-Schüler, das ich hier wiedergebe:


Mein Blick

Ich soll Dich anseh'n,
Immerzu.
Aber mein Blick irrt über alles Sehen weit,
Floh himmelweit, ferner als die Ewigkeit.
Du! locke ihn mit Deiner Sehnsucht Sonnenschein, --
Er wird mir selbst ein Hieroglyph geworden sein.
​

Das Werk beschäftigt sich außer mit Literatur auch mit bildender Kunst. Wie sollte das bei diesem Thema auch anders sein. Hier ein Schnappschuss von S.208.
Picture
03.10.2016 Endlich fertig geworden bin ich mit dem sehr lesenswerten Buch über das Leben im globalisierten Römischen Reich. Mein geschätzter Kollege hat es mit empfohlen und ausgeliehen. Geschrieben hat es der italienische Paläontologe Alberto Angela: Vom Gladiator zur Hure. Die Reise einer Münze durch das Römische Reich. München: Riemann, 2012.
30.08.2016 Ich las jetzt Eric- Emmanuel Schmitt, "Odysseus aus Bagdad", fiel mir in der Buchhandlung in die Hände. Ich kenn den schon von anderen Büchern (Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran -- Originaltitel: Monsieur Ibrahim et les fleurs du Coran) -- verfilmt 2003 --, oder: Les évangiles selon Pilates, wo er sich mit Pilatus auseinandersetzt, oder: Oskar und die Dame in Rosa, wo es um ein an Krebs sterbendes Kind geht, von meiner Schwägerin geschenkt bekommen, die solche Kinder unterrichtet) und mir gefiel der Ansatz, der mir im Lateinunterricht ständig genau so passiert!, dass er die Odyssee als Hintergrund nimmt für die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer! Und das schon 2008! Wie alle Schriftsteller ein Prophet. Knapp geschrieben, fast flüchtig, gut gebaut, überraschende Wendungen, tragisch, humorvoll, toll aber die Anklänge an die Odyssee: Kirke, der Zyklop, der Seesturm, der Vater in der Unterwelt, der ihn führt (erinnert eher an die Äneis der Römers Vergil, die hier sowieso besser passen würde, find ich, denn wie Äneas sucht Saad Saad aus Bagdad eine neue Heimat, nicht wie Odysseus seine alte!)
Das Motiv mit dem Vater, der aus der Unterwelt mit ihm spricht, erinnert auch an das Gebot, das wir im Hauskreis der Gemeinde besprachen: Ehre Vater und Mutter, dass du lange lebest im Land, das dir der Herr, dein Gott, geben wird. Und die Flüchtlinge leben ja nicht im Land ihrer Eltern! Und ehren sie ihre Eltern dadurch, dass sie das Land ihrer Vorfahren verlassen? Bei Éric-Emmanuel Schmitt tun sie es jedenfalls. Letztlich endet das menschenfreundliche, vielleicht ein wenig zu sehr politisch korrekte Buch offen. Hat er nun seine Penelope namens Leila am Schluss oder nicht? Und man muss sagen, zu politisch korrekt ist es nicht, es wird auch Kritisches auf Flüchtlingsseite angesprochen, dass sie zum Beispiel wirklich oft nur aus wirtschaftlichen Motiven kommen und untereinander oft sehr grausam sind. 


Picture
30.08.2016 Eleonore Dehnerdt, Das Gelübde der Kaiserin. (Von einem Bamberg-Besuch mitgebracht vor zwei Jahren.)
Kein hochstehendes Buch, aber es macht Spaß, einzutauchen in das Deutschland des Jahres 1000, mit den Worten einer gefühlvollen, nachempfindenden, von keinem wissenschaftlichen Vorwissen belasteten und dennoch sehr belesenen Autorin. S.242: Sogar aus einer mittelalterlichen Urkunde zitierend (das macht sie öfter, als habe sie die Hilfswissenschaft Diplomatik -Urkunden-Lehre- studiert!) kann sie Einblicke geben in das Intim-Leben der Ehefrau Kunigunde von Kaiser Heinrich II., dem letzten der Ottonen/Sachsen-Kaiser-Dynastie! Und sie erklärt dem evangelischen, wenn nicht evangelikalen Leser die Bedeutung von Reliquien, steinernen Kirchenbauten und dem Zölibat! Deren Bedeutung, so wird deutlich, kann in diesen dunklen Jahrhunderten nicht überschätzt werden! Und die Autorin fühlt sich auch ein, warum Kriege so unkritisch geführt wurden. Heiden, Schriftkultur kommen vor, Reisen über die Alpen etc. Zum Zölibat: Er wurde erst damals langsam durchgesetzt wegen Gleichberechtigung, denn die Nonnen durften auch keine Männer haben, also sollten die Kirchenmänner auch keine Frauen haben! Sehr wilde Zeiten, urtümlich, primitiv, ungebildet, abergläubisch! Unfassbar! Dehnerdt bleibt trotz allem etwas blass. Es gibt ja inzwischen einen ungeheuren Hype um Mittelaltermärkte, Rollenspiele. Ganze Pop-Universen wie die Gothic-Szene haben das Mittelalter reaktiviert! 
Dass Heinrich II. als Heiliger verehrt wird, obwohl er nicht immer heilig lebte, wie dieses Buch zeigt, er aber trotzdem als Christ und damit als Heiliger gelten kann, wie dieses Buch ebenfalls heraus arbeitet, das passt sehr gut zur gegenwärtigen Diskussion, ob die Heiligsprechung von Mutter Theresa von Kalkutta gerechtfertigt sei, weil sie auch viele Fehler gemacht habe: zu wenig medizinische Versorgung ihrer Kranken aus geistlichen Motiven!, schlechter Umgang mit Geld, zu braver Umgang mit korrupten Politikern. 


11.06.2016 Robert Harris: Ghost. Auch von meiner geschätzten Kollegin ausgeliehen. Das lese ich jetzt sogar auf Englisch. Auch wenn ich Vieles nicht verstehe, kann man gut folgen und sogar manchen Witz verstehen. Unweigerlich erinnere ich mich an meine ersten Englisch-Schulstunden, wenn ich dieses britische Englisch lese, und bin meinen damaligen Englisch-Lehrern und Lehrbuch-Machern zu tiefem Dank verpflichtet, nachdem ich sie viele Lebensjahre auch kritisch gesehen habe! 
Es geht darum, dass der ehem. britische Premierminister mit einem Ghostwriter zusammen seine Autobiografie verfassen will. Aber was macht ein Buch lesenswert und nicht sterbenslangweilig? Was macht ein Menschenleben interessant? Wie war und ist das Privatleben in Ehe und außerehelicher Beziehung? Wie in einem Shakespeare-Stück setzt die Handlung ein, als die vielleicht kritischsten Tage im Leben des Ex-Premiers beginnen! Was bei Shakespeares Königsdramen die Burg oder der Palast, ist hier ein einsames Landhaus auf einer kleinen Insel an der US-Ostküste. Die Frauen und das Hauspersonal treten auf (Rosenkranz und Güldenstern sind jetzt Vietnamesen), meisterhafte Dialoge. Doch wie ist der Premier zu einem Verbrecher geworden, so wie die schrecklichen Könige Englands? Er hat als "Pudel" von US-Präsident George W. Bush beim "War Against Terror" britische Bürger in Pakistan verschleppen und foltern lassen! Das versucht er zu vertuschen. Ein Ghostwriter stirbt auf mysteriöse Weise (siehe das Baumuster von "Vaterland"), Spannung, suspense! Das Menschlich-Allzumenschliche kommt beim Alltag im Landhaus herrlich heraus! Was für ein Mensch waren der Premier und seine Frau? Und viel Poetologie, wie meine Lateinprofessoren gesagt hätten: Was an einem Buch ist erfunden, was ist echt passiert, wie kann man das Wesen eines Menschen so ergründen, dass es ein spannendes Buch wird? Wieviel Buchstaben schafft man pro Stunde, wieviel Seiten? Wie kann man eine Minute mündliches Interview in so und so viele Seiten Buch umwandeln? Selbst diese Fragen verhandelt Harris hier spannend. 

Picture
11.06.2016 Eine anglophile Kollegin lieh mir: Robert Harris: Vaterland. Er ist auf dem wiki-Bild links abgebildet. (Als Hörbuch höre ich grad während meines langweiligen Gerätetrainings die Cicero-Trilogie von Robert Harris: Imperium -- Titan -- Diktator. Anders als Theodor Mommsen in seiner Nobelpreis-gekrönten Römischen Geschichte, wie gesagt, steht er nicht auf Seiten Cäsars, sondern auf der Ciceros!)
http://www.sueddeutsche.de/kultur/dictator-von-robert-harris-cicero-der-quirligste-aller-wanderer-1.2752400
http://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article147512758/Caesar-war-in-Wirklichkeit-ein-Menschenschlaechter.html: "Cäsar war in Wirklichkeit ein Menschenschlächter". Nach zwölf Jahren schließt Robert Harris mit "Dictator" seine Cicero-Trilogie ab. Ein Gespräch über die Christlichkeit eines unchristlichen Römers und die fehlende Statur heutiger Politiker. (2015)

Aber zu "Vaterland", das ich schon vor zwei Monaten fertig hatte: Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg gewonnen und mit Atomraketen ein Macht-Patt erreicht. Es gibt eine europäische Union unter Deutschlands Führung. Hinten am Ural tobt noch der Krieg mit der Sowjetunion. Die Handlung setzt ein wenige Tage vor dem 75. Geburtstag Hitlers 1964. Die USA wollen sich zu diesem Anlass endlich mit Deutschland aussöhnen. Ein kritischer SS-Polizist entdeckt aber lange versteckte Unterlagen über den Holocaust. Der ist vorbei und keiner hat jemals darüber geredet. Ein paar Haupttäter, die noch leben, kommen plötzlich mysteriös um. Harris baut viele Original-Unterlagen als Einlege-Arbeit in seinen Text ein, eine tolle Geschichtsstunde, manches übernimmt er indirekt (Protokoll der Wannsee-Konferenz, Himmlers Posener Rede, Aussagen von Rudolf Höß). Und dann noch sehr spannend, mit Liebesdrama, Showdown am Schluss. Wie immer bei ihm, schreibt Harris wenig detailreich, eigentlich untypisch für Romane, die Bilder sind schwer greifbar, aber das große Aufbau und die Recherche sind meisterhaft.  

11.06.2016: Eine ehemalige Kollegin schickte mir schon vor zwei Jahren:
Dass heut der Tag der Poesie
das wußte ich bisher noch nie
drum schick ich Dir
auf Frühlingsfüßen
gleich einen Versstrauß
mit lieben Grüßen,
Ania
​http://www.kleiner-kalender.de/event/welttag-der-poesie/57468.html
16.02.2016: Abgeschlossen hab ich vor Weihnachten das Hörbuch von Martin Suter: Montecristo. Mehr dazu siehe unter "Alltag" --> "Film 16.02.2016."

Mit Gewinn lese ich die von Kollegen geschenkte Biografie: Friedrich II. der Große von Preußen von Tillmann Bendikowski. Der zitiert viel aus Christopher Clarks "Preußen"-Buch, das ebenfalls auf meinem Nachtisch liegt. Darin bin ich gerade beim Kapitel Pietismus. 

16.02.2016: Heimatjahre von Felix Huby, Geschenk meiner Kollegen, weil da ein Christian Ebinger aus einem Dorfschulhaus im Schönbuch mit seinen Geschwistern Gerhard und Hanna beschrieben wird. All das passt auf mein Leben. Schön geschrieben, gut lesbar, ein paar sehr gute Beobachtungen zur Wirtschaftswunderzeit, die es lesenswert machen (Leben auf dem Land nach dem Krieg, Holzvergaser, Handarbeiten, Garten, Kriegsheimkehrer). Insgesamt so geschrieben, als würde es morgen verfilmt für den Fernseh-Vorabend, denn das ist ja das eigentliche Metier des Autors. Da gibt es ein paar Sachen, die sind noch zu flach und lieblich, zu konstruiert und erwartbar (die Begegnung mit dem jüdischen Künstler wirkt arg unwahrscheinlich), genau das, was man auch dem hoch bezahlten, öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorwirft. Und es wird halt -- wenig einfallsreich und einem Mainstream nachlaufend -- ein bisschen viel Geschichte der moralischen Befreiung eingebaut, sprich Geschichte der Unterwäsche und des Bauernschlafzimmers, "entklemm Germany" hieß es da auch in meiner Jugend. Andere wichtige. reizvolle, sinnliche Themen kommen dagegen fast nicht vor: die Fresswelle und ihre Einzelheiten, die Reisewelle, die Konsumwelle, die Motorisierung (eine rote, glaub ich, Vespa, immerhin, darf mitmachen), Medien- und Literaturgeschichte der Nachkriegszeit böten so manchen Lacher oder lohnenswerten Steinbruch für so einen Roman. Dennoch, die Dorfbewohner sind teilweise sehr gut getroffen, "sag amol", "i würd amol sage", solche verschrobenen, echten Charaktere kann man wohl nur darstellen, wenn man die selbst erlebt hat! Das hat wirklich literarische Qualität. Aber wie gesagt, das Buch trägt m.E. die Krankheiten in sich, die man beim Fernsehen immer so tadelt. Und viele Szenen (ein Erhängter im Wald, ein Familienkrach, ein Holz spaltender Bauer, ein Dorffest mit sexuellem Übergriff -- vgl. auch die TV-Serie Heimat von Edgar Reitz über den Hunsrück, aber literarisch hoch stehend) sind dermaßen plakativ, dass sie eher Drehbuch sind als Literatur, also verfilmbar fürs deutsche Vorabendfernsehen, Mainstream eben, ohne Aussage, Gummibärchen fürs Auge, aber ungesund und sinnlos und die Zeit nicht wert. Auch fällt auf, dass der Autor sich nicht entscheiden kann, ob es nun eine Komödie sein soll (witzige, derbe Szenen voller Lebensweisheit) oder ein politischer, ernst gemeinter Roman (Kriegsschuld, moralische Befreiung, Bundeswehrzeit, von mir -- zwanzig Jahre später fast tupfengleich erlebt, bis in einzelne Szenen hinein). Dieses Hin und Her tut dem Buch auch nicht gut. Dennoch: lesenswert! 

16.02.2016: Letzten Sommer spielten die Reuchlin-Schüler die an vielen Schulen aufgeführte "Lysistrate" ("Die Wehrkraft-Zersetzerin") des Atheners Aristophanes. Ich mag den zeitlosen Humor sehr, kaufte endlich das Theaterstück als Buch, aber wie so viele Komödien ist es sehr derb und unständig, und das extrem!! Mich würde einmal interessieren, was Eltern da denken. Platon würde es für absolut verderblich für die Jugend halten (siehe seine Dichterkritik), Aristoteles, der Arzt, würde sagen, der Nachvollzug dieser unanständigen Dinge in der Phantasie führt dazu, dass das Stück wie Medizin wirkt: Man muss dann nach dieser Impfung mit diesem extrem lustigen Theaterstück nicht mehr diese Krankheiten selber durchmachen, Witze über jedes Geschlechtsteil und die entsprechende Behaarung oder Enthaarung, Ehebrüche, Beschimpfungen, Beleidigungen, Verhöhnung des Geschlechtstriebes. Heutige Ben-Stiller-US-Komödien oder Hangover-Las-Vegas-Filme -- ebenfalls ja extrem unanständig -- sind dagegen immer noch Literatur fürs Töchter-Pensionat. Die Frauen zeigen es da in Athen den Männern, wie blöd sie sind. Man fragt sich, wie drastisch die das auf die Bühne gebracht haben damals unter freiem Himmel. Im Reuchlin-Gymnasium war die Inszenierung komplett zurückhaltend, alle Schauspieler blieben bedeckt, nur die Worte waren unzweideutig gesalzen und gepfeffert. Und die Frauen zeigen den Männern, wie bescheuert es ist, Krieg zu führen. Damals war ja auch grade die legendäre "Sizilianische Expedition" der mächtigen Seemacht Athen gescheitert, Tausende tote junge Männer, Tausende gefoltert als Steinbruch-Sklaven, dabei alle aus gutem athenischem Bürgerhause! Vor diesem schrecklichen Hintergrund -- von den Reuchlin-Schülern dramatisch gekonnt als täuschend echte Tagesschau-Nachrichten an die Wand geworfen -- lässt sich so ein groteskes Stück verstehen.
Nachtrag zu Lysistrate vom 28.02.2016, denn das Stück war Thema auf der Berlinale kürzlich: Spiegel.de schreibt am 16. d.M. zu dem neuen Film: Lysistrata als Hip-hop-Musical: Spike Lee inszeniert mit "Chi-Raq" ein flamboyantes Plädoyer gegen Getto-Gewalt.

10. Juli 2015. „Dantons Tod“ des sehr jungen und wilden Georg Büchner, ebenso „Agnes“ von Peter Stamm, beides weil es mich interessierte, was Abi-Thema in Deutsch ist.

Außerdem fand ich im Regal nach dem Besuch der Sophokles-Tragödie „König Ödipus“ im Theater Pforzheim (sehr gut deklamiert!) die Aristophanes-Komödie „Die Frösche“. Beim Überqueren des Unterwelt-Flusses mit dem Fährmann Charon quaken da die Frösche über Athen, über Politik und Kultur. Aischylos oder Euripides werden wieder gebraucht, denn es leben keine guten Dichter mehr! 

25.01.2015 Mein Schwiegervater schenkte mir zu Weihnachten Martin Burckhardt: Digitale Renaissance. Ein Manifest für eine neue Welt. Berlin: Metrolit, 2014. Der Berliner Kunst-Professor schwärmt und malt die Apokalypse. Aber mit dem Wort Renaissance trifft er m.E. schon einen Nerv.

31.10.2014  EIN HERBSTGEDICHT
In der SZ beschreibt der Lyriker Lutz Seiler zum 100. Todestag seinen Weg zu Georg Trakl, dem Symbolisten (geprägt durch französisches Kindermädchen von Beaudelaire, heißt es da) und Expressionisten, der als junger Mann nach einem Trauma als Sanitäter und Apotheker im Ersten Weltkrieg sich in Krakau das Leben nimmt.
Mir gefiel, wie er das Versmaß des Elfsilblers aufgriff, das den Lateinern unter uns z. B. von Catull her bekannt ist. Er ebenfalls ein jung verstorbener, hoch dramatischer, romantischer Lyriker und Buchstaben-Klang-Bilder-Stimmungs-Virtuose. Seiler beginnt:
Das erste Gedicht, das ich von Georg Trakl las, war "Der Herbst des Einsamen", das zweite "Grodek". Die Texte, mit Schreibmaschine abgeschrieben, besitze ich noch immer, lose Blätter in einem Schnellhefter zu "Lyrik der Neoromantik und des Expressionismus".
Damals habe er das Herbstgedicht mehr geschätzt, heute bevorzuge er Grodek, denn das ist der traumatische Ort bei Krakau, wo er ähnlich wie der Maler Otto Dix das Grauen des Krieges erlebt hat, kurz vor seinem Tod.
Aber zum Elfsilbler, auf Griechisch Hendekasyllabus:
... lernte ich, wie ein Versmaß namens Endecasillabo funktioniert - ein fünfhebiger Jambus zieht sich durch mit Auftakt und klingender Kadenz, bis ein gedachtes Metrum und der Rhythmus des Ganzen harmonieren.Elf Silben, die Hauptbetonung immer auf der zehnten. Ergebnis ist der Eindruck von Feierlichkeit: "Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle", so hebt der "Herbst des Einsamen" an. Ich lernte etwas über Vokalistik (das A bei Trakl als ein Laut bittender Erhabenheit), über Assonanzen und den Klang des Ganzen - wie das Musikalische die Sinneinheit des Gedichts übernimmt und es dabei zu Korrespondenzen vordringt, die weiterschwingen in der Tiefe unseres Selbst.



Der Herbst des Einsamen

Der dunkle Herbst kehrt ein voll Frucht und Fülle,
Vergilbter Glanz von schönen Sommertagen.
Ein reines Blau tritt aus verfallner Hülle;
Der Flug der Vögel tönt von alten Sagen.
Gekeltert ist der Wein, die milde Stille
Erfüllt von leiser Antwort dunkler Fragen.

Und hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel;
Im roten Wald verliert sich eine Herde.
Die Wolke wandert übern Weiherspiegel;
Es ruht des Landmanns ruhige Gebärde.
Sehr leise rührt des Abends blauer Flügel
Ein Dach von dürrem Stroh, die schwarze Erde.

Bald nisten Sterne in des Müden Brauen:
In kühle Stuben kehrt ein still Bescheiden,
Und Engel treten leise aus den blauen
Augen der Liebenden, die sanfter leiden.
Es rauscht das Rohr; anfällt ein knöchern Grauen,
Wenn schwarz der Tau tropft von den kahlen Weiden.

Georg Trakl
(1887 - 1914)

http://www.handmann.phantasus.de/h_der_herbst_des_einsamen.html

http://www.sueddeutsche.de/kultur/deutsche-literatur-der-herbst-des-einsamen-1.2198149






15.10.2014 Heinz Buschkowsky: Neukölln ist überall. Der SPD-Bürgermeister im Berliner Stadtteil geht schon in Richtung Thilo Sarrazin, ebenfalls erstaunlicher Weise SPD. Dieses teilweise polemische Buch spricht Vieles sehr offen an, was uns Lehrern alltäglich begegnet. (Gar nicht so schlecht hierzu entpuppte sich ja auch der Film mit dem unsäglichen Titel "F... U Göthe".) Ich bekam es auch von einem Kollegen geliehen, mit dem es immer sehr interessant ist zu diskutieren. Aber mir fehlt es an Tiefe. Buschkowsky mit seiner Kritik am Islam und einem falsch verstandenen Multi-Kulti sowie einem laschen Sozialstaat ist bekannt wie ein bunter Hund, denn er redet Tacheles, kommt aus der Praxis, ist ein Anpacker. 

11.10.2014 Endlich auch mal ein Gedicht hier! Es stand in einem SZ-Artikel über die 100jährige Frankfurter Goethe-Universität, "Adornos Werkstatt" der Titel. Sie  hat die linksliberale Frankfurter Schule hervorgebracht eines Max Horkheimer, eines Theodor W. Adorno und eines Jürgen Habermas. Als sie dann aber die Hochburg der 68er war, der Sponti-Szene, entstanden über die eigenen Vordenker Gedichte wie das von Robert Gernhardt: 


Eben strebt in sanfter Ruh
Adorno seinem Hörsaal zu,
Und mit Buch und Lesungsheften
Zu gewohnten Denkgeschäften
Lenkt er freudig seine Schritte
In der jungen Menschen Mitte.


Den dann folgenden, leicht unanständigen Teil lass ich weg. Es war wie heute bei den Femen-Frauen. Jedenfalls starb Adorno kurz darauf an einem Herz-Infarkt.


Außerdem bekam ich von meinem Vater die Biografie ausgeliehen, die er anlässlich des Todes eines weltbekannten Weltveränderers gelesen hat: 
Nelson Mandela: Der lange Weg zur Freiheit. 
Ich stecke am Anfang. Sein aufmüpfiger Häuptling-Vater wird vom englischen Magistrat seines Amtes enthoben wegen der Worte, die er ausrichten ließ "Andizi, ndisaquala" = ich werde nicht kommen, ich rüste mich noch für die Schlacht.
So musste der kleine Nelson recht bescheiden aufwachsen in Lehmhütten. Sehr anschaulich und spannend. 

Was ich gern läse:
31.12.2016 Ian Kershaw. Höllensturz. 2016. Robert Probst schreibt darüber heute in der SZ: "viel gerühmtes Meisterwerk, behandelt den Zeitraum der Jahre 1914 bis 1949 als die Geschichte eines großen Krieges."
31.12.2016: Nachtrag zu unten: Asli Erdogan ist aus der Haft entlassen worden! Wie schön.
05.12.2016. Die SZ interviewt heute den kongolesischen Roman- und Dramen-Autoren Fiston Mwzana Mujila, Jahrgang 1981, und empfiehlt seinen Debut-Roman "Tram83". Es sieht Korruption und Gewalt als Hauptproblem seiner Heimat, der Minen-Stadt Lubumbashi. Ähnliches gebe es aber auch in der Türkei (er erinnert an die dort seit über drei Monaten inhaftierte Schriftstellerin Asli Erdogan!), in Osteuropa, in Südamerika. Mujila spricht sich dafür aus, sich nicht mit den Machthabern anzulegen, sondern in die Poesie auszuweichen, und bringt sehr gute Sätze: "Die Sprache ist mein Bett, und in meinem Bett kann ich machen, was ich will. In meinem Bett beginnt mein Exil. Das ist unser Lebensgefühl im Kongo." Oder auch sehr lesenswert: "Man kann Ökonomie studiert haben und doch nicht begreifen, wie die Menschen ihr tägliches Brot verdienen. [Hier zeigt er Verständnis, dass viele zum Überleben mit der Korruption gemeinsame Sachen machen müssen.] Man braucht in manchen Ländern eher Bäcker und Mechaniker als Intellektuelle." Zu den Mechanikern im Kongo sagt er noch etwas Denkwürdiges: "Ein typisch kongolesischer Mechaniker hat seine Arbeit auf der Straße gelernt und kann alles reparieren: einen Schrank, ein Fenster oder auch ein Auto. Ich benutze die Sprache wie ein kongolesischer Mechaniker. Mit Worten und Sätzen lässt sich alles reparieren." Auch das, was kürzlich im Interent kursierte als Karikatur, wird hier einem Popstar aus dem Kongo zugeordnet, Papa Wemba: "Alles ist eine Frage der Perspektive. Eine Sechs kann auch eine Neun sein." (Siehe das folgende Video.) Papa Wemba prägte auch die auffällige Kultur der "Sapeurs", schick gekleideter Dandys mitten im Elend. Noch so ein bodengutes Zitat: "Wenn mein Land kaputt ist, kann mein Körper das Land ersetzen." Erinnert irgendwie an Jesus, der mit seinem Leib bezahlt hat für sein kaputtes Erdenland, und dessen Leib wir heute alle sind, während er der Kopf ist. Unsere Leiber bilden ein Volk, eine Nation, einen Tempel aus lebendigen Steinen (Epheserbrief), Gottes Reich mitten im kaputten Land.
26.11.2016. Mary Beard: SPQR: Die tausendjährige Geschichte Roms. Frankfurt am Main: Fischer, 2016. (Orig.: SPQR. A History of Ancient Rome.)
14.09.2016. Siehe unter "Schule--> Blog/Aktuelles" von heute: Julian Nida-Rümelin: "Der Akademisierungswahn -- Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung" (2014), und schließlich derselbe 2015: "Auf dem Weg in eine deutsche Bildungskatastrophe. Zwölf unangenehme Wahrheiten" bei Herder.
​
01.09.2016 Ein Freund empfahl mir schon länger Sabine Bode: "Kriegsenkel", 2009. Dieses Buch betrifft die sog. Generation Golf, also meinen Freund und mich, alle zwischen 1965 und 1975 Geborenen. Es geht dabei darum, dass die Traumatisierungen, die die Eltern dieser Generation im Krieg oft erlebt haben, sich unbemerkt belastend auswirken bei uns im Wohlstand Aufgewachsenen.
​http://literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14263
30.08.2016 Zum Tod von Hermann Kant, dem DDR-Hofschriftsteller, empfiehlt Jens Bisky in der SZ vom 16.08. die Lektüre von "Der Aufenthalt". Dieses Buch enthalte viel Autobiografisches. "Ein Schuft mochte er sein, aber schreiben konnte er", so der Titel des Artikels. Dies habe er über sich selbst gesagt. Anna Seghers sei seine Vorgängerin gewesen im Schriftstellerverband, unter der Wolf Biermann ausgebürgert worden sei. Unter ihm dann 1979 seien ausgeschlossen worden Stefan Heym, Klaus Schlesinger, Adolf Endler. Immerhin habe er Karl May in der DDR wiederentdeckt und Theodor Plieviers Roman "Stalingrad" drucken lassen, eines Anti-Kommunisten.

Picture
30.08.2016 Prof. Münkler scheint ja momentan der Hof-Gelehrte der Bundesregierung zu werden (Prof. Heinrich August Winkler nicht zu vergessen), gegen Sloterdijk in Karlsruhe. Mit seiner Frau, ebenso Professorin, war er gestern abend bei "Kulturzeit" auf 3sat zu diesem Buch. Aber auch irgendwo bei der SZ oder auf tagesschau- oder spiegel.de oder faz.de waren sie auch.

28.06.2016. Zum Odenwald-Pädophilie-Skandal um Gerold Becker und dessen einst so hoch berühmten Freund Hartmut von Hentig und Pädagogik-Papst (siehe unten unter 09.09.2014 dazu das Enja-Riegel-Buch): Letzterer schrieb nun nach dem Tod des ersteren zu seiner zweibändigen Autobiografie -- die noch vor den höchst vernichtenden Aufdeckungen 2010 erschien -- einen dritten Band zur Rechtfertigung dieses Skandals, so das eindeutige Urteil von Volker Breidecker über "Noch immer mein Leben". Er werde gar theologisch an seinem Lebensende und wähne sich "unter freien Sündern". Vor allem sei er aber hochmütig, so als ziehe er noch einmal seinen Talar als Göttinger Ordinarius an und teile böse aus. Dieses Leben, was die Pädagogik der Bundesrepublik so sehr verkörpert, bietet hier den besten Stoff für ein Theaterstück! Fakt ist, die Odenwaldschule gibt es nicht mehr. 

25.06.2016. "Gemetzel in Nebensätzen" schreibt am 22.6. Burkhard Müller in der SZ über
Markus Schauer (Latein-Professor in Bamberg): Geschichte und Täuschung in Cäsars Meisterwerk. München: Beck, 2016. Schon die sehr lobende Rezension ist lesenswert, charakterisiert sie doch den Schulautor par excellence, sein Hauptwerk "Gallischer Krieg" und den dazugehörigen Schulunterricht sehr treffend: "Gewaltmärsche, Getreideverpflegung, Schlachten, Schanzwerk", und: "Jeder, der in der Schule Latein gelernt hat, ist ihm begegnet, länger und intensiver als wohl jedem anderen Schulbuch". Und zur Schlüsselrolle Cäsars in Roms 1000jähriger Geschichte und in der Geschichte der europäischen "Kaiser"-Imperien schreibt Müller: "Hitler, Stalin, Napoleon blieben Episode. Caesar blieb." Dennoch kommt Cäsar nur als Schurke weg, siehe auch das negative Cäsar-Urteil des Romanciers Robert Harris links unter dem 11.06.2016.
​
25.01.2015 Ich entdeckte einen Enzyklopädisten für Film- und Buch-Besprechungen: http://www.dieterwunderlich.de/
Folgendes Buch hab ich daliegen und schmökerte drin, er hat aber noch ähnliche Sammlungen von Kurzbiografien veröffentlicht: Dieter Wunderlich: Unerschrockene Frauen. Elf Porträts. München: Piper, 2.Aufl. 2014. Allein ein paar Zeilen über Madame de Stael, wie interessant, aber auch unangenehm diese große deutsch-französische Kulturvermittlerin den Dichterfürsten Schiller und Goethe war, lesenswert! Thatcher oder Madonna!  
17.1.2015
Heute empfiehlt K.-M. Gauss in der SZ einen Roman, der drei Familien-Sagas verbindet, eine Nazi-Täter-Familie, eine jüdische Opfer-Familie sowie eine deutsche Opfer-Familie. Letztere war Teil der von den Nazi zerstörten tausendjährigen osteuropäischen deutschen Diaspora. Das Buch sei dermaßen sachkundig und gut und decke vor allem das unbekannte Kapitel auf, dass auch nach dem Ende der Nazis Juden als Displaced People verfolgt wurden, dass es darüber eine große Diskussion geben müsste. Steven Uhly: Königreich der Dämmerung.

Ebenfalls heute empfiehlt Stefan Weidner ebenda: Dima Wannous: Dunkle Wolken über Damaskus. Erzählungen. Aus dem Arabischen von L. Bender. Schon 2007 habe darin die Autorin den Arabischen Frühling von 2010 sowie den schrecklichen syrischen Bürgerkrieg vorher gesagt. Zusammen mit zwei anderen Schriftstellerinnen aus Syrien, Samar Yazbek, geb. 1970, und Rosa Yassin Hassan, geb. 1974, sei die 1982 geborene Wannous Kandidatin dafür, den maßgeblichen Roman über den arabischen Frühling zu schreiben. Auch wenn dieses Buch dies noch nicht erfülle, erstaune doch der Mut und die Kritik am Assad-Regime, obwohl alle drei Schriftstellerinnen Alewitinnen seien, also zur Glaubensrichtung des syrischen Präsidenten Assad gehörten.
4.11.2014
Im Autoradio hörte ich grade, dass es von Paul Auster auf deutsch einen Briefwechsel gibt mit einem gewissen, mir unbekannten Schriftsteller namens J. M. Coetzee. Bei S. Fischer unter dem Titel "Von hier nach da", im Orig. "Here and now". Ich las das 2009 erschienene Unsichtbar von ihm (kann's gerne ausleihen), gut geschrieben, sicher, meisterhaft, aber doch auch etwas abstoßend, teilw. sehr grob, wie wenn er besonders männlich rüberkommen wollte. Und die Handlung auf dieser Insel da ist mir nicht so in Erinnerung geblieben, vllt. hab ich es nicht verstanden ... Ich hatte davor seine Frau gelesen, Siri Hustvedt, Leiden eines Amerikaners, jeder Mittelschicht-Mensch hat da an der US-Ostküste seinen Psychologen, und das ist gut, ein bisschen Seelsorge bräuchten wir alle. Und viel anschauliche weiße US-Geschichte: Einwanderung, härteste Landwirtschaftsarbeit, dann nach Generationen Aufstieg in die intellektuelle Schicht, Künstler, Psychologen, Professoren etc. Noch besser fand ich "Was ich liebte". Spannend, die Frage einer Alt-68erin, die in der Bush-Ära fragt, ob es das Böse vielleicht doch gibt? Ob man Jugendliche immer nur Laissez-faire erziehen sollte wie in den genannten Kreisen üblich. Beim Lesen explodiert man fast, denn die Epikerin kommentiert natürlich nicht und Viele Menschheits-Fragen stehen höchst anschaulich am Beispiel einer Patchwork-Familie vor einem.  
In der DLF-Radiosendung eben ging es ja aber um ihren Mann und sein neuestes Buch. Jedenfalls hieß es, die Herren Schriftsteller hätten sich auch oft mit ihren Frauen zusammen verabredet, eine lebenslange Beziehung gepflegt. Und sie unterhalten sich über die neuen Medien, wie altmodisch sie seien. Die Frau Siri Hustvedt sei dabei der modernere Ehepartner: Coetzee schicke einmal seinen Brief per E-Mail-Anhang an die Ehefrau Siri mit der Bitte, ihn Paul Auster vorzulesen, das sei schneller als ein Papierbrief.  

13.10.2014
Peter Burke: Explosion des Wissens. Von der Encyclopédie bis Wikipedia. Aus d. Engl. von M. Wolf. Berlin: Wagenbach, 2014. 392 Seiten, 30 Euro. -- Via SZ und Simon Strauss.
15.10.2014 Mein Schwiegervater gab mir Shlomo Sand: Die Erfindung des Landes Israels. Mythos und Wahrheit. Berlin: Ullstein, 2012. Er als Israel-Freund konnte damit nicht viel anfangen. Ich las diese fast schon wütenden Thesen eines radikalen Anti-Zionisten mit Interesse, mir fehlte aber die Zeit, dran zu bleiben, stellte es ins Regal. Es erinnerte mich an meinen Latein-Professor Hubert Cancik in Tübingen, von dem ich viel lernte, geniale Vorlesungen hörte. Aber er als atheistischer Religionswissenschaftler war wütend auf den Kirchenvater Augustinus. Am Ende einer Vorlesung im Hegel-Bau wurde er richtig ausfällig. Augustin habe das Alte Testament so umgedeutet, dass er es den Juden genommen habe; alle großen Aussagen, Verheißungen, die universale Geschichte des "Volkes Gottes" habe er den Juden genommen und für die christliche Kirche vereinnahmt und damit letztlich auch Verantwortung für die Judenverfolgung. Aber ich als bibelinteressierter Laie dachte an diesem Punkt, da hat mein genialer Professor Unrecht! Schon dem Apostel, Juden und Bibel-Autor Paulus könnte man in seinem Römerbrief, wenn man ihn falsch versteht, genau dies vorwerfen, nicht erst dem Jahrhunderte später lebenden Augustin. Hat der den Römerbrief gelesen? Und gleichzeitig bin ich mir sicher, dass der Professor nicht sieht, dass da steht, dass Israel immer Gottes Volk bleibt, egal was die Christen machen! Auch Augustin hat das gelesen! Egal ...
Jedenfalls las ich den Rezensions-Teil im immer interessanten "Schneller"-Blättchen (3/2014), das ich bekomm, seit meine Neffen mit der ems ein Auslandsjahr gemacht haben. Der arabische Pfarrer in Bethlehem Mitri Raheb habe 2013 ein lesenswertes "Büchlein" geschrieben Christ-Sein in der arabischen Welt, es enthalte auch zum Arabischen Frühling sehr Lesenswertes, meint der deutsche Orient-Pfarrer und Rezensent Uwe Gräbe. So weit, so gut. Aber dann horchte ich auf: 2014 erscheine vom selben Autor auf Englisch und Deutsch: Glaube unter imperialer Macht. Eine palästinensische Theologie der Hoffnung. Und Uwe Gräbe schreibt höchst voraussetzungsreich und für mich nur nach mehrmaligem Lesen verständlich: "Wenn Raheb als Kern des israelisch-palästinensischen Konfliktes festhält: 'Die Einheimischen des Landes wurden zu Fremden gemacht, um Platz zu schaffen für ein erfundenes Volk, welches das Land besetzte' [hier kommt also Shlomo Sand ins Spiel: Israel gebe es nicht, es sei erfunden], dann weiß er natürlich, dass ihm die völlige Enteignung des gegenwärtigen "Am Israel", des jüdischen Volkes -- nicht viel anders als in den klassischen europäischen Substitutionstheologien [und hier kommt m.W. Augustin ins Spiel, der die Kirche an die Stelle Israels gesetzt haben soll -- also substituiert] -- vorgeworfen werden wird. Doch das Aufreizende ist: Er scheint sich daran nicht einmal zu stören, da er die deutschen Debatten hinter sich gelassen hat ... Immerhin: Auch von seinem Stichwortgeber Shlomo Sand scheint sich Raheb mit diesem Buch emanzipiert zu haben. ... Denn all dies hat in der Theologie zurecht keinen Platz." Auch Herr Gräbe findet also Shlomo Sand doch auch etwas radikal und ist froh, dass sein arabischer Mitchrist nicht mehr ganz so sehr aus diesem Buch lebt. 

 
10.10.2014    
Was ich gerne läse -- mal schaun, wann ich dazu komm, denn es ist viel los:

Herr M., der ein Praktikum bei uns absolviert, empfahl mir und meinen Schülern zum Thema Holocaust: Imre Kertesz: Roman eines Schicksallosen. Was für eine Bildungslücke, nein -abgrund! Ich hatte den Namen wohl mal gehört, aber weder wusste ich, dass Kertesz (schreibt man den so?) Literatur-Nobelpreis-Träger ist von 2002, noch dass er sowohl ein Opfer der Nazis ist als auch des real existierenden Sozialismus in Ungarn. Erst nach der Wende wurde er auch im Westen richtig bekannt. Das Werk sei eines der bekanntesten Bücher über den Holocaust. Aus der Sicht eines im KZ gequälten Kindes (autobiografische  Züge) bietet er einen anscheinend sehr fesselnden, emotionalen Blick auf den Holocaust.
Herr M. lernte das Buch in England kennen, wo er an der Uni ein deutschsprachiges Literatur-Seminar besuchte über Holocaust-Verarbeitung. Weitere Namen, die er uns in sehr bewegenden Auszügen vorstellte: Jean Améry: "An den Grenzen des Geistes", in: Jenseits von Schuld und Sühne, Stuttgart: Klett-Cotta, 7. Aufl. 2012; und Tadeusz Borowski: "Bitte, die Herrschaften, ins Gas", in: Bei uns in Auschwitz. Ffm.: btb, 2008, sowie ein Fernsehinterview mit Hannah Arendt aus dem ZDF vom 28.10.1964, das bei youtube zu sehen ist. 

Von meinem Bruder bekam ich -- über zwei Ecken überbracht -- ausgeliehen: Christopher Clark: Die Schlafwandler. Das heiß diskutierte, neu erschienene Buch zu "100 Jahre Erster Weltkrieg". Es liest sich gut, das sah ich schon mal. Überfall der putschenden Offiziere 1903 auf das Stadtschloss in Belgrad. König und Königin fliehen aus dem Bett und können sich noch zwei Stunden verstecken, bevor sie grausam ermordet werden! 








Zu Bourdieu schreibt mir eine Bekannte von der Uni Greifswald:

Christian, ja, Bourdieu, Foucault und Judith Butler (und Derrida) kennen wir. D.h. ich (und übrigens auch Johanna!) kenne vor allem Foucault. Er ist hoch umstritten. Für mein Wahlen-Projekt finde ich ihn aber ziemlich gut, weil er die Moderne als Disziplinierungsprojekt versteht; und ich halte Wahlen ja auch für ein Disziplinierungsinstrument. Ich könnte "Überwachen und Strafen" empfehlen. Das haben Johanna und ich zur gleichen Zeit an der Uni behandelt! Unter Historikern gilt allgemein Bourdieu als wesentlich praktikabler. "Die feinen Unterschiede" werden ständig zitiert, obwohl es, glaube ich, nur die wenigsten gelesen haben. Und Judith Butler gehört ja zu diesen Turbo-Feministinnen, die sogar das biologische Geschlecht für konstruiert halten. Du siehst, ich habe nicht so wirklich Ahnung. Bei Gelegenheit musst Du mal Detlef zu Bourdieu befragen, da Detlef oft mit dessen Ansatz arbeitet.
Übrigens: Clarks Preußenbuch habe ich auch! Ich finde ihn wirklich sehr, sehr gut! Er kämpft ja immer dafür, dass man in der Geschichtsschreibung endlich damit aufhört, die preußische Geschichte nur im Hinblick auf die NS-Zeit zu schreiben.
8. Sept. 2014

Meine akutelle Leseliste -- schließlich sind ja noch Sommerferien:

Franz Werfel: Der veruntreute Himmel. -- Geschenk einer lieben Kollegin. Dienstboten- und Adels-Leben in der ausgehenden Habsburger-Monarchie, speziell in Tschechien. Da ich gerade in Prag war, sehr passend. 

Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft. -- Endlich schaff ich es mal, diesen Autor zu lesen! Hier eines seiner letzten Werke. Sehr französisch. Ich lebte ja auch ein Jahr in Frankreich und muss sagen, Frauen sind dort oft weiblicher als bei uns, Männer z.T. etwas machohafter, allein schon das Küssen bei der Begrüßung, das nur für Frauen geht, während man Frauen keine Hand gibt. Aber Bourdieu ist in den neunziger Jahren -- als das Buch entstand -- so alt, dass er wohl ein Frankreich beschreibt, seine Schulen, seine berufstätigen Frauen, das es schon lange nicht mehr gab. Die Kabylen in Algerien, das Sinnbild jeder patriarchalischen Gesellschaft, erforschte er als junger Ethnologe, wohl während des Algerienkrieges! Das Buch ein bisschen auch wie ein platonischer Dialog, wie er so viele Wissenschaften anschneidet und verknüpft und souverän beherrscht, angefangen bei der Ethnologie, Geschichte, Psychoanalyse, Soziologie, Religionswissenschaft. Aber ob das alles stichhaltig ist? Ob unsere biologischen Körper wirklich so unwichtig sind? Wahrscheinlich versteh ich alles falsch oder gar nicht. Man hört auch heraus, dass er wie die dekonstruktivistische Feministin Judith Butler aus dem gleichen Umfeld kommt, Michel Foucault, Jacques Derrida. Nach ihrem "Unbehagen der Geschlechter" kommen dann unbedingt Bourdieus "Die feinen Unterschiede" dran! Mein Studienkollege Steffen Seischab las es schon vor zwanzig Jahren.  

Cicero, Pro Sexto Roscio Amerino. -- Herrlich, durch diese mutige, bescheidene und doch souveräne Rede gegen Diktatoren-Angst und Korruption wurde er berühmt in Rom damals. Witzig: Der gegenerische Anwalt der Anklage habe während seines Plädoyers nebenher mit einem Boten gesprochen: da habe er wohl schon mal die Bestellung für das Essen nach der Verhandlung aufgegeben! Immer wieder brachte Cicero das Forum wohl zum Lachen. Man sprach ohne Verstärkung auswendig, und hielt Massen von Zuhörern stundenlang bei Laune. Bei den heutigen medialen Möglichkeiten undenkbar. Bei der Lektüre der Rede jedoch vorstellbar. 

Sa, 13. Sept. 2014: 
Heinrich Heine. Deutschland, ein Wintermärchen. -- Von Kollegin geschenkt. Großgedicht. Lustig, wie viel der vom Essen schreibt, Austern, Würstchen, und natürlich kann Deutschland nicht mit seinem Exil-Land Frankreich mithalten. Auch sonst elegante, kluge, freche, ja sehr freche Kritik an deutscher politischer Rückständigkeit. Schlug laut Vorwort damals ein wie eine Bombe, wurde sehr oft geklickt, äh gekauft. Hat diese belächelte Gattung des politischen Spottgedichts zu literarischen Ehren gehoben. 

Leben von Theodor Schneller, dem Gründer des syrischen Waisenhauses in Jerusalem. Kaiserzeit, Gründerzeit, Pionierzeit. Palästina -- Israel gibt es ja erst seit 1948! -- ist ein sehr unterentwickeltes Land, aber auch die Zeit damals war eben noch bäuerlich geprägt. Er stammte ja auch von der Schwäbischen Alb wie auch meine Vorfahren. Vor meiner Israel-Reise nach Pfingsten 2014 sehr gute Vorbereitung zusammen mit dem nächsten Buch. Wir erlebten ein Land, das -- es erinnert in Tel Aviv an Bilder von Dubai! -- unheimlich in die Infrastruktur investiert hat die letzten 25 Jahre, seit ich das letzte Mal da war.  Kurz vor dem Gaza-Krieg erlebten wir ein sehr friedliches Land, erfuhren dann aber in den Nachrichten von der Entführung der drei Bibelschüler kurz nach unserer Ankunft. Der Krieg brach dann unmittelbar nach unserem Abflug aus. 

Ulrich Parzany: Dazu stehe ich. -- Geschenk meiner Eltern. Empfehlung meines Onkels. Die Autobiografie dieses berühmten Pfarrers und Nachfolger im Weigle-Haus meines Großonkels berührt Vieles, was ich selbst erlebt habe. Christival 88 in Nürnberg zum Beispiel, zusammen mit Uli Reif und meinem großen Bruder. Als Vikar war er kurz vor dem Sechs-Tage-Krieg in Jerusalem an der Erlöser-Kirche (und in Beit Schala in der ev. Gemeinde) für ein Jahr, da noch alles rein jordanisch und arabisch. Als er weg war, wurde ja alles von Israel erobert, weil es bedroht worden war. Von praktisch allen arabischen Nachbarn wurde Israel angegriffen und gewann trotzdem. Seither gibt es dieses Problem mit dem Gaza-Streifen, dem West-Jordan-Land, den besetzten Gebieten, den Siedlungen, den verschiedenen Intifadas. 

Nachtrag 9. Sept. 2014, was ich in den letzten Monaten so las und mich beschäftigt hat. 

Enja Riegel: Schule kann gelingen. -- Mir ausgeliehen von meiner lieben Tante und Kollegin in Tübingen. Lesenswert, siehe den Bericht von Lehrer "Herr Rau" auf dessen wordpress-blog. Aber warum tut sich so wenig in der Breite der Schulen?? Ich hab es bis heute nicht zu Ende gelesen. Witzig: Für die Sommerferien 2014 wurde dieses Buch aus dem Jahre 2004 kostenlos an alle Lehrer in Mecklenburg-Vorpommern verteilt! Aber Skandal! Enja Riegel ließ sich jahrelang beraten von dem inzwischen als Kinder-Misshandler entlarvten Lebensgefährten von Hartmut v. Hentig, dem deutschen Pädagogik-Papst!!, von Gerold Becker also, und dankt ihm am Ende des Buches herzlich. Dabei waren bereits 1999 verzweifelte Rufe laut geworden von Opfern, die aber vertuscht wurden. Siehe auch die Kirche mit ihren pädagogischen Einrichtungen. Jedenfalls kam bei dem Skandal 2010 alles raus (beginnend an der jesuitischen Canisius-Schule in Berlin). Für mich ist das bis heute nicht genug öffentlich geworden und aufgearbeitet. Deutsche Pädagogik, rauchende Trümmer! Jedenfalls wurde Enja Riegels Buch in einer neueren Auflage redigiert und die Dankesworte an diesen Gerold Becker, den genialen, aber auch höchst verbrecherischen und bedauernswerten Menschen (aber haben wir das nicht alle in uns?), raus gestrichen. Aber -- typisch Staat (?) -- in den Tausenden Büchern, die in MV an die Lehrer verteilt wurden, war die alte Passage noch drin und alle Bücher wurden wieder eingesammelt und eingestampft! (Spiegel-Meldung http://www.spiegel.de/schulspiegel/odenwaldschule-lehrer-buch-wegen-panne-bei-danksagung-zurueckgezogen-a-987581.html (erschienen am 22.8.2014).) 

--> Nachtrag 10.10.2014: Inzwischen kam ein ganzer Fernsehabend genau über dieses Thema, das mich im Sommer beschäftigt hat. Vor ca. zwei Wochen kam im ARD ein Spielfilm über diese Vorgänge an der Odenwaldschule sowie eine Talkshow hinterher. Leider drängte der Beruf so sehr in den Abend rein, dass ich es nur sporadisch ansehen konnte. 

​--> Nachtrag 28.06.2016 siehe oben unter diesem Datum! "Was ich gerne läse."

Christopher Clark: Preußen. Aufstieg und Niedergang. -- Mir ausgeliehen von meinem Bruder. Ein monumentales Werk, wo ich noch ganz am Anfang stehe. Aber man merkt schon, warum viele sagen, der ist gut zu lesen und spannend und neu. Siehe die Weltkriegs-Schuld-Debatte, die sein "Schlafwandler"-Buch zum hundertjährigen Weltkriegs-Beginn ausgelöst hat. 

Siegfried Lenz: Deutschstunde. -- Aus dem Regal meiner Eltern. Nachkriegsliteratur wir Grass, Böll, Hesse (?). Lesenswerte Schilderungen des Meeres, seiner Küste, deren Kultur und des (klein)bürgerlichen, bescheidenen, ordentlichen Lebens der Kriegs- und Nachkriegszeit. Autobiografisch. Verehrt und hasst dieses Leben, der Ich-"Siggi". Und dann am Ende ganz krass dagegen: Die Studenten-WG in der Großstadt, ich glaub in Hamburg. Aber auch da sind die Männer immer noch Machos. Der Ober-Gorilla hat einen Wollpullover an bis zu den Knien, "in dem er offensichtlich auch schlief". Emil Nolde, "der Maler Nansen", wird durch dieses Buch verehrt. Gut gebaut auch der Wechsel zwischen der Jugendstrafanstalt und der Vorgeschichte, der eigentlichen Handlung. Aber irgendwie auch kolossal nervig, die Themen und der Tonfall, man kennt das alles so gut und denkt, die hatten Probleme damals! Allein wie die Schule beschreiben wird! Tiefste Adenauer-Ära! Kontinuität vor und nach 1945! Sehr deutlich heraus gearbeitet, aber Lenz ist selber Teil davon! Andererseits ist man ehrfürchtig vor dem anspruchslosen Leben damals, dem Glück in der Natur, den unhinterfragten Rollen. Zum Nationalsozialismus: trotz aller Vergangenheitsbewältigung -- man wird den Verdacht nicht los, dass dennoch der NS beschönigt, verharmlost wird, ihm durch die epischen Lebens-Szenen aus Rugbüll irgendwo doch noch Verständnis entgegen gebracht wird. Aber das liegt wohl an der autobiografischen Nähe, und bei Grass kam ja auch so Manches heraus in den letzten Jahren seither über das Verhältnis zum NS. 

H. und G. Taylor: Hudson Taylor. Ein Mann, der Gott vertraute. -- Aus dem Regal meiner Eltern. Erst jüngst, als es um den Streit ging, dass die expandierenden Konfuzius-Institute des chinesischen Staates (unter der Fuchtel der kommunistischen Staatsdoktrin, anders als unsere Goethe-Institute) problematische Partner sind für deutsche Kultureinrichtungen wie Unis, rechtfertigte sich die chinesische Seite mit den Missionaren, die ja europäische Kultur auch offensiv nach China gebracht hätten! Das wäre eine lohnenswerte Debatte. Jedenfalls las ich nun endlich einmal eine Biografie dieses so oft erwähnten Helden bzw. von Gott berufenen Werkzeuges. Dieses Buch ist allerdings literarisch dürftig. Aber passt nicht gerade dies auf einen christlichen, sozusagen Heiligen? Sehr beeindruckend, wie man ganz am Rand mit bekommt, wie bäuerlich China noch war im 19. Jahrhundert. Europa ja auch. Erst im Alter benutzt Taylor einmal einen Zug! Ein einfacher Apotheker, der eigene Wege geht, nicht den offiziellen Missionsgesellschaften folgt, sein eigenes Ding macht, aber offen ist für alle. Er legt Wert darauf, sich nicht abzuschotten von anderen Glaubensrichtungen. Sogar die Katholiken, die damals ja komplett abgetrennt waren, finden Erwähnung, allerdings extrem wenig. Die britische und amerikanische Öffentlichkeit wird aufmerksam auf ihn, er wird berühmt, sein Werk umfasst viele hundert Hauptamtliche, kommt mit wenig Ressourcen aus, leistet auf sozialem Gebiet Riesiges, versucht im Gegensatz zu anderen Missionen die konsequente Inkulturation! Nicht wenige chinesische Unis gehen auf Schulgründungen der China-Inland- und anderer Missionen zurück! (So wie ja auch die Elite-Unis Harvard, Yale etc. großteils aus ganz einfachen puritanischen Bibelschulen, aus Nichts zusammen gebetet und gespendet, entstanden sind, wie Max Weber ja so eindrücklich nachforschte in seinem Puritanismus-Kapitalismus-Komplex!) Das müsste mal gezeigt werden. Aber es war eben doch eine romantische Zeit, die Zeit der Entdecker, Seefahrer, die sich einheimische Kleider anzogen, siehe Karl May, die ein paar Wortfetzen lernten, das Exotische, die Landschaften genießen konnten. Mit "Schubkarre", auf die der Asket meistens verzichtete, ist wohl Rikscha gemeint. Mit heute alles nicht zu vergleichen. Wer ein bisschen den geschichtlichen Hintergrund anschaut, kommt nicht umhin, bei Vielem in diesem Buch auch zu lachen! Die Frauenbewegung kommt nach China: englische Fräulein dürfen allein reisen! Taylor ist auf dem Stand der Zeit. 

Noah Gordon: Der Medicus. -- Von meinem Freund Rainer ausgeliehen. Spannend zu lesen, toll recherchiert, etwas reißerisch. Jetzt endlich habe ich diesen "Wohnblock-Sprenger" auch gelesen (deutsche Bedeutung des militärischen Wortes Blockbuster). 

G. K. Chesterton: The Man Who Was Thursday. -- Von meiner Schwester geschenkt aus dem englischen Laden in von Kendra "Sweet Things and Stories" (sie facebook). Noch nicht fertig. Eigenartig. Anarchismus, Kommunismus und die englische Polizei. 

Uwe Tellkamp: Der Turm. -- Von meiner Schwester ausgeliehen. Noch nicht fertig. Sehr anspruchsvoll. Das ganz großbürgerliche Tableau. Epische Breite. 

Sa, 16. März 2013:

Dave Eggers: A Hologramm for The King, 2012. Ein Hologramm für den König. Köln: Kiepenheuer&Witsch, 2013. Hilmar Klute rezensiert am 16. März in der SZ: Warum haben wir in Deutschland keinen Schriftsteller wie Dave Eggers? Warum erzählt hier niemand,


"wie wir unseren Stolz an die IT verlieren,

unsere Fähigkeiten an die Chinesen

und unser Gewissen an die Schwellenländer?"


Proudly powered by Weebly